Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
Vom Netzwerk:
immer gern das Thema.
    – Sie sind spät, sagte Herr Zmal, ohne aufzublicken.
    Auf seinem Schreibtisch lag ein Haufen Zettel, und Herr Zmal nahm daran eine sorgfältige Obduktion vor.
    – Ja, ich weiß, sagte Messerschmidt. Das tut mir auch leid, aber ich war da in einen kleinen Unfall verwickelt.
    – Unfall?
    Herr Zmal ließ ihn seine beiden würdevollen Augenbrauen sehen. Die Augenbrauen waren genauso, wie Augenbrauen normalerweise sind: groß, väterlich und sehr beweglich. Auch die Nase von Herrn Zmal war heute ein wenig wohlgeratener als sonst, schien es Messerschmidt. Es war ein seltsames Gefühl – und vielleicht entsprach es auch nur seiner Erleichterung, dass ihm nichts Schlimmeres passiert war, der LKW hatte ihn nur gestreift –, aber er sah Herrn Zmal einfach gerne an.
    – Ja, wirklich. Keine Ausrede. Hier –
    Er rollte sein Hosenbein auf, um die Schramme zu zeigen.
    – Schon gut, sagte Herr Zmal, ich habe ja nicht gesagt, dass ich Ihnen nicht glaube. Beruhigen Sie sich.
    – Ich bin ja ganz ruhig, sagte Messerschmidt.
    Er staunte, dass das die Wahrheit war. Im Grunde hätte er aufgeregt sein müssen, immerhin war die Situation, der er gerade entronnen war, sehr gefährlich gewesen.
    – Kommen Sie, setzen Sie sich hin, sagte Herr Zmal.
    Schon saß Messerschmidt vor ihm. Jetzt konnte er auch genau erkennen, was Herr Zmal da tat: Er ging die Abrechnungen durch, kontrollierte alle Summen, so wie er es immer gerne machte. Die Arbeit würde viele Stunden, vielleicht sogar Tage beanspruchen, aber Herr Zmal machte es freiwillig, weil er ein Perfektionist war. Messerschmidtwusste, dass Herr Zmal dabei nicht gerne gestört wurde, und fragte sich, warum er gebeten worden war, sich hinzusetzen.
    – Also …
    Herr Zmal hielt den Korrekturbleistift immer noch in der Hand, als würde er jeden Moment wieder zu seiner Arbeit zurückkehren. Aber er tat es nicht, sondern er begann zu sprechen:
    – Es ist gut, dass Ihnen nichts passiert ist. Erzählen Sie, was war denn?
    Sein Blick war unverrückbar auf Messerschmidt gerichtet. Das war nichts Ungewöhnliches, Messerschmidt kannte dieses charakteristische Starren, dieses genaue Mustern der Umwelt, aber gleichzeitig irritierte es ihn ein wenig.
    Er schaute auf den Fußboden, der aus kleinen hellen Holzbrettern bestand, die in einem Wellenmuster ineinandergesteckt worden waren. Messerschmidt fragte sich, ob ein solches Holzbrett länger oder kürzer war als sein Schuh. Er zog seine Füße unter dem Sessel hervor, dann aber kehrte seine Aufmerksamkeit zu dem starren Blick von Herrn Zmal zurück, den er wie einen stetigen Luftstrom auf seiner rechten Gesichtshälfte spüren konnte.
    – Ich bin über die Straße gegangen, es war Grün für mich –
    – Also haben Sie nichts falsch gemacht, unterbrach ihn Herr Zmal gleich.
    Auch das war eine der Angewohnheiten seines Vorgesetzten. Herr Zmal musste immer alle Menschen, mit denen er sprach, unterbrechen, ihre Aussagen kurz zusammenfassen oder kommentieren. Vermutlich tat er das, um selbst nicht den Faden zu verlieren, denn er war ein Mann, der sehr leicht von allem Möglichen abgelenkt wurde.
    Messerschmidt räusperte sich.
    – Ja, stimmt schon, aber dann habe ich … einem Radfahrer Platz gemacht, und der ist dadurch langsamer geworden, und irgendwie … ich weiß nicht mehr, alles ist ziemlich schnell gegangen … zur Seite gekippt und schon hat mich ein Auto von hinten gestreift … Ja …
    Er hatte alles ein wenig ausgeschmückt. Er schämte sich dafür, aber was sollte man machen, er wollte keine unnötigen Fragen beantworten müssen.
    – Und sonst ist nichts passiert?
    – Den Kopf hab ich mir, glaube ich, angeschlagen, gestand Messerschmidt.
    Es musste beim Sturz auf sein Knie passiert sein, Schmerzen hatte er keine. Aber gut, sein Kopf war immer schon sehr robust gewesen.
Dickschädel
, hatte seine Frau früher oft respektvoll gesagt. Jetzt fiel ihm ein, dass er zuhause anrufen sollte, man machte sich bestimmt schon Sorgen um ihn. Aber warum? Er war doch ganz normal in die Arbeit gegangen und war schließlich auch hier angelangt, ganz einfach. Nein, zuhause wusste doch niemand von der Verspätung, es sei denn, Herr Zmal hatte bei ihm angerufen und seine Tochter hatte nicht gewusst, wo er war. Sie hatte eine erschrockene Hand zum Mund bewegt, und der Telefonhörer hatte in der anderen Hand zu zittern begonnen.
Ist … ist er nicht in der Arbeit erschienen?
Ja, so konnte es gewesen sein.
    – Hat meine Tochter

Weitere Kostenlose Bücher