Die Frequenzen
schlechte Metapher. Wie ein verkleideter Zwerg unter lauter Kindern.
Der letzte Tag
Ich stand vor der endlosen Reihe von Fahrrädern, manche davon waren schon seit Jahren hier draußen auf dem Heimparkplatz angeschirrt, vergessen, eingerostet, ins Knie gebrochen wie kranke Rehe, mit Rädern in Form einer liegenden Acht, ein halber Parkplatz voller Fahrräder, die allesamt darauf warteten, das sich endlich jemand ihrer erbarmte und mit ihnen Domino spielte.
Der letzte Tag, das letzte Mal ging ich über diesen Parkplatz, der immer so still und verlassen wirkte, als befände man sich in der Vergangenheit. Die albernen Fahnen vor dem Haupteingang. Fast jede Woche tragen sie mindestens einmal Schwarz.
– Was ist das Problem?, fragte mich die Direktorin, nachdem ich ihr gesagt hatte, dass ich nicht mehr weiter hier arbeiten wollte.
– Nichts. Ich. Ich bin das Problem.
Mit einem handfesten Problem in ihrem Dienstzimmer wollte sie auch gar nicht lange diskutieren. Sie akzeptierte meinen Wunsch nach Abbruch des Dienstverhältnisses, zumal es sich um einen Posten handelte, der in der Regel sehr schnell nachbesetzt werden konnte.
Ich beendete, wie vereinbart, meinen Dienst bis zum Ende des Monats. Am letzten Tag leerte ich meinen Spind gleich in der Früh. Bis Mittag noch, dachte ich, dann Auf Wiedersehen. Es war ein herrlicher Tag, um eine alte Haut abzustreifen. Ich legte meinen kleinen Schlüssel unter ein Fensterbrett, auf einen Heizkörper. Mochten sie danach suchen, wenn ich weg war.
Auf dem Weg zur Arbeit hatte ich meinen Monolog geübt. Ich würde den richtigen Moment abwarten und ihndann aufsagen, hoffentlich bis zur Pointe am Ende. Und anschließend würde ich in der Stadt zum Friseur gehen, vorausgesetzt, ich
konnte
noch gehen.
In der Mittagspause standen die Pfleger am Hintereingang herum und rauchten. Max, die Glatze. Otto, der haargenau so aussah wie Bruce Springsteen im Video von
Streets of Philadelphia
. Werner, der früher als Grenzpolizist gearbeitet hatte.
Ich blieb vor ihnen stehen und befreite meinen Schuh, indem ich am Schuhband zog. Darauf band ich es wieder zu. Als ich mich erhob, grüßten die drei Pfleger mich mit einem kurzen Nicken und einer freundlichen Wippbewegung ihrer Zigaretten.
Wie immer, wenn ein Außenstehender zu einer männlichen Gruppe stößt, dauerte es, bis die anderen weitersprachen.
– Wie auch immer, sagte Werner, die Blumentöpfe sind einfach zu schwer. Da kannst du sagen, was du willst.
– Sag ich ja, sagte Max.
Sein Zippo schnappte heiser auf und zu.
– Einfach zu schwer, weil … ich meine, wer braucht so schwere Blumentöpfe? Ein paar leichtere würden doch denselben Zweck erfüllen. Viele kleine sind vielleicht teurer als ein großer, ja, aber du bräuchtest dann wenigstens nicht immer zwei starke Männer und einen kniezittrigen Zivildiener, um das verdammte Zimmergemüse von A nach B zu transportieren.
– Alles Verrückte da oben, bestätigte Max.
– Stimmt, sagte Werner. Auch grausam gegenüber den armen Zivis. Die schauen immer dermaßen ungesund aus. So bleich …
– Grausam!, schaltete ich mich ein, dankbar für das Stichwort. Grausam ist das noch nicht! Ich hab einegrausame Geschichte, da kannst du sehen, was grausam ist.
Ernste Gesichter, Zigaretten, Nicken. Die Männer waren auf eine langweilige Abenteuergeschichte gefasst, wie man sie in Mittags- und Zigarettenpausen oft zu hören bekommt. Vielleicht würde ihnen dieser sonst eher schweigsame Aushilfspfleger jetzt von seinen Problemen mit einer Frau oder einem kaputten Auto erzählen.
– Ihr kennt doch, sagte ich, die Erzählungen aus
Tausendundeiner Nacht
, oder? Da geht es um einen König, der beschließt, alle Frauen des Landes zu sich einzuladen, sie zu vögeln und anschließend zu köpfen.
Max schmunzelte. Sein Feuerzeug schnalzte mit der Zunge.
– Und dann kommt eines Tages diese Frau namens Scheherazade zu ihm –
– Den Namen hab ich schon mal gehört, sagte Werner.
– Scheherazade, fuhr ich fort, und die hat eine grandiose Idee, um ihr Leben zu retten. Sie erzählt dem König vorm Schlafengehen Geschichten und hört immer genau dann auf, wenn die Geschichte am spannendsten ist. Und der König, der ein großes Kind ist und deshalb Gutenachtgeschichten sehr ernst nimmt, hat keine andere Wahl, als bis zum nächsten Abend zu warten, damit sie ihm das Ende verrät. So rettet sie tausend Tage lang ihr Leben. Und am Ende gebiert sie dem König sogar drei Kinder.
– Recht so,
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