Die Frequenzen
hier angerufen, sagte er.
Es war merkwürdig, der Schock hatte ihm offenbar auch die Stimmbänder gelähmt, denn er bekam die Satzmelodie einfach nicht richtig hin. Die Frage klang wie ein leidenschaftsloser Aussagesatz. Und außerdem war sie ganz verkehrt gestellt.
Haben Sie?
, hätte er eigentlich fragen müssen.
Haben Sie bei mir zuhause?
Aber egal.
– Nein, warum?, fragte Herr Zmal.
Auch das klang nicht wie eine Frage. Für einen Augenblick sah es so aus, als würde Herr Zmal seine Schreibarbeit wieder aufnehmen, aber der Korrekturbleistift bewegte sich nur wenige Millimeter über das mit Zahlen bedeckte Papier, als unterliege er einer Art natürlicher Fortbewegung, wie etwa der Mond oder der Schatten eines Hauses, während der Tag verging.
Messerschmidt winkte ab.
– Ich hab nur gedacht … nein, natürlich nicht, da hab ich was verwechselt, glaube ich.
Eine Weile schwiegen sie. Es war völlig still. Messerschmidt lehnte sich im Stuhl zurück, um ihn knacken zu lassen, aber das Holz schien dafür viel zu geschmeidig, obwohl es ein sehr alter Stuhl war. Die gesamte Einrichtung im Büro war sehr alt. Dass das angenehme Knarren und Knacken der hölzernen Stuhllehne ausblieb, enttäuschte Messerschmidt so sehr, dass er unvermittelt aufstand.
– So, also dann, sagte er, ich werde dann mal an die Arbeit gehen.
– Ja, in Ordnung, sagte Herr Zmal.
Er hielt Messerschmidt die Hand hin. Zwischen zwei Fingern hing noch immer der Bleistift. Messerschmidt, der nicht unhöflich sein wollte, sagte nichts über die kleine Vergesslichkeit seines Chefs und ergriff die Hand, wobei er achtgab, den Bleistift nicht zu berühren.
Als er sich zum Gehen wandte, hörte er hinter sich etwas zuklappen. Er drehte sich kurz wieder um und sah, dass es die Mappe mit den Jahresabrechnungen war. Herr Zmal war offenbar bereits fertig.
– Schon fertig mit den Korrekturen, sagte Messerschmidt freundlich.
Herr Zmal schien zu erschrecken. Er sah nach links und rechts, wischte sich über die Stirn, die plötzlich verschwitzt war und auch leicht gerötet. Sein Blick traf Messerschmidt nicht, obwohl dieser für einen Augenblick stehen geblieben war. Eine Weile wartete er, aber es geschah nichts. Herr Zmal antwortete auf seine Frage nicht. Wann hatte er die Korrektur gemacht? Es konnte nicht während ihres kurzen und merkwürdigen Gesprächs geschehen sein, denn Messerschmidt hatte genau darauf geachtet, obwohl er gar nicht genau sagen konnte, wieso.
Genau darauf geachtet, genau darauf geachtet
: eine warme Berührung an seinen Oberschenkeln.
M’lp. M’lp
.
Die junge Japanerin wischte ihre nasse Hand an der provisorischen Schürze ab, dann holte sie das Apfelmus, mit dem sie Herrn Messerschmidt fütterte. Das Mus kam in einen Beutel, und der Inhalt des Beutels gelangte über eine Sonde direkt in den Magen. Wenn sie die ständig verklebte Eingangsstelle am Bauch des alten Mannes reinigte und frisch mit einer Mullbinde überklebte, verbreitete sich ein beißend saurer Geruch im ganzen Zimmer.
Sie seufzte.
Heute war ihr die Arbeit besonders unangenehm. Ihr Körper verlangte nach etwas anderem. Sie hatte sich heute ein paar Minuten früher von ihrem neuen Freund trennen müssen, um rechtzeitig bei Herrn Messerschmidt zu sein. Sie waren zu gar nichts gekommen. Dabei brauchte sie es so dringend, auch wenn es peinlich war, das zuzugeben. Aber jetzt waren sie schon eine Woche zusammen, und alles, was sie bisher getan hatten, war ein wenig Oralverkehr, akrobatisch ineinander verkeilt wie Zwillingsgalaxien. Mein Gott, er hatte so gut geschmeckt, so verdammtgut, und das kam nicht oft vor bei Männern. Die meisten schmeckten säuerlich oder bitter oder überhaupt nur nach ungepflegten, dornigen Schamhaaren, aber Colin – Colin roch und schmeckte gut. Er hielt sehr viel auf Pflege und Hygiene. Sie wusste es genau, denn neulich hatte sie mit ihrer Zunge –
Schluss, Schluss. Nicht mehr daran denken.
Mitsuko zog Herrn Messerschmidt eine frische Windel an. Alles schön der Reihe nach. Nichts überstürzen.
Aber ihre Finger waren so unruhig, dass sie alles zweimal machen musste.
Nicht lange nachdem er das Büro verlassen hatte, nach draußen in eine Welt aus stillstehendem Verkehr, verstand er seine Situation. Es gab nur noch ihn. Anfangs war er verzweifelt, dass das so war, dann war ihm auch das egal. Denn solange es ihn betraf, spielten seine Erinnerungen noch ein bisschen mit und gaukelten ihm vor, nicht ganz allein zu sein. Aber genau das
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