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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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die ich brauchte. Die anderen schauten zu Boden, wo sich ausgetretene Zigaretten krümmten. Ich machte einen mutigen Schritt nach vor und trat Max gegen das Schienbein.
    Der Countdown begann.
    – Oder, was weiß ich, begann ich, während meine Zeit ablief, oder von oben auf sie draufpinkeln und hinterher behaupten, sie hätten es getan, das geht noch, ja, da sagt niemand was … aber ihnen die Kehle durchschneiden, wenn sie schlafen, und dann noch dazu mit deinem Autoschlüssel, nur damit du dir das blutverschmierte Ding hinterher in den Arsch stecken kannst, also das –

Reise zum Mond
    –
Keine rechte Moral
, sagte die volltönende, registerreiche Stimme.
    Die Splitter des Eiswürfels lagen auf dem Boden. Walter hatte sich hingesetzt. Joseph Jeremias Lengel, der Orgelbaumeister, brachte sich in seinem Gemälde in eine etwas bequemere Sitzposition, legte das ihm in die Hand gemalte Notenpapier auf seinen Schoß, dann fuhr er sich gedankenvoll mit der Hand durchs Haar. Aber da er kein Haar mehr besaß, nicht auf seinem Haupt, hielt er mitten in der Bewegung inne, betrachtete verwirrt seine Hand und ließ sie langsam sinken.
    – Lass mich in Ruhe, sagte Walter.
    Von den vielen Cocktails war ihm übel geworden. Jeremias Lengel räusperte sich umständlich, als sei seine Kehle die Speichelklappe einer Trompete, und sagte:
    –
Keine wirkliche Freude am Leben
.
    Walter erwiderte nichts. Konzentriert studierte er das grüne Etikett auf der Flasche. Als er wieder aufblickte, hoffte er, dass der lästige Orgelbaumeister vielleicht schon wieder verschwunden war, aber der Blick, der ihm aus dem lebensgroßen Porträt entgegenstach, zerstörte seine Hoffnung. Es war ein Blick voll köstlicher Schadenfreude.
    – Arschloch, sagte Walter.
    –
Neutrum. Mehrzahl -löcher
, sagte Jeremias Lengel.
    – Lass. Mich. In Ruhe, sagte Walter, aber seine Stimme war trotz des Nachdrucks, den er ihr verleihen wollte, nur ein ängstliches Quaken.
    –
Was soll das eigentlich werden, wenn es fertig ist?
, fragte Lengel.
    Walter stellte sein Glas auf den Fernsehtisch, der soniedrig war, dass vermutlich nur eine Zwergenfamilie darin einen brauchbaren Gegenstand erblicken konnte. Für Normalsterbliche diente der Tisch einzig dazu, sich das Schienbein zu stoßen.
    – Scheiße, mir ist schlecht, sagte Walter.
    Er legte sich eine Hand auf den Bauch. Die Hand zitterte, als würde ihm jeden Moment sein Magen um die Ohren fliegen.
    –
Natürlich
, sagte Jeremias Lengel ungerührt,
du hast Magenbeschwerden
.
Natürlich, natürlich. Schuld und Magenbeschwerden sind dasselbe. Und du fühlst dich sehr, sehr schuldig. Schau her, diese kleine Melodie beweist es
.
    Eine simple, leise Orgelmelodie ertönte aus dem Gemälde. Sie bestand im Grunde nur aus den Anfangstakten von
Just Can’t Get Enough
. Walter deutete auf sein T-Shirt, ah ja, er hatte die Anspielung verstanden. Er hob sarkastisch einen Daumen.
    – Super, originell, sagte er.
    Ich spreche mit einem Gemälde, dachte er.
    –
Kein Respekt, kein Respekt
, sagte Jeremias Lengel mit einem enttäuschten Kopfschütteln, und die kleine Melodie verstummte.
    Walter legte sich auf die Couch. Die Decke im Wohnzimmer war eine völlig andere als die in seinem Zimmer. Viel glatter und freundlicher. In seinem Zimmer war alles verfallen und schmutzig und abweisend. Niemand wollte ihn hier haben. Er war nicht willkommen. Ja, jetzt machte alles Sinn …
    –
Dreh dich auf den Bauch
,
dann hört auch die Übelkeit auf. Versuch ein wenig auf dem Bauch zu schlafen
.
    Walter drehte sich langsam um. Ihm war schwindlig und er wollte seine Ruhe haben. Niemand wollte ihn hier sehen. Dabei ging es ihm nicht gut. Wirklich nicht gut …Er lag eine Weile auf dem Bauch und glaubte irgendwo weit entfernt eine Uhr ticken zu hören, dann wurde ihm von einer Sekunde auf die nächste speiübel, er schaffte es nicht einmal mehr bis zum Waschbecken. Er reiherte über den Couchbezug, über die spiegelglatte Oberfläche des Zwergentisches, über seine Jogginghose.
    –
Ha Ha Ha Ha!
    Der Orgelbaumeister schlug sich aufs Knie.
    Endlich war Walter beim Waschbecken, er beugte sich darüber und ließ sich von einem heftigen Brechreiz durchschütteln. Er hasste es, sich zu übergeben. Sein Magen kam so leicht aus dem Gleichgewicht.
    – Arschlo-h, brachte er mit sauer-verklebten Lippen hervor.
    Dann musste er sich wieder übergeben. Im Waschbecken sammelte sich eine rötlich-orange Flüssigkeit, die einen beißenden Gestank

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