Die Frequenzen
es das? Hab ich dir einen Schreck eingejagt?
– Es ist gar nicht so sehr die Botschaft, die mich irritiert, es ist die Art, wie du es gesagt hast …
Damit das gleich klar ist
… Was soll das?
– Ich wollte nur, dass das von vornherein klar ist. Soll ich etwa lügen?
– Nein, das nicht, aber –
– Warum ist das denn so ein ungeheures Problem für dich? Ich will ihn nicht in den Mund nehmen. Unten kann er von mir aus tun, was er will, aber alles, was über die Gürtellinie geht, davon will ich nichts wissen.
– Schon gut, ich hab’s verstanden.
– Und warum hab ich dann immer noch das Gefühl, dass du überhaupt nicht kapierst, was ich sage?
– Woher soll ich das wissen? Vielleicht sprichst du in Rätseln, in Metaphern, was weiß ich!
– Ja, so haben wir das gern: Wenn du einmal nicht weiter weißt, dann wirst du einfach laut. Brüllst herum. Super. Ich freu mich schon auf die Zeit, wenn wir beide einmal alt sind!
– Mach dir darüber keine Sorgen.
Ich stand auf und stapfte aus dem Zimmer. Sie rannte mir nach.
– Was? Hast du jetzt vielleicht vor, die Tür ins Schloss zu werfen? Ist es das? Wenn du das vorhast, dann kannst du das ganz allein machen, weil ich nämlich nicht in der Nähe sein werde, um es zu hören. Ich gehe auf den Balkon!
Sie drehte sich so energisch um, dass der Teppich unter ihr in einem kleinen Wirbel Falten warf.
Ich flüchtete aus der Wohnung, ohne die Tür ins Schloss zu werfen, obwohl ich wilde Verwünschungen gegen alles Lebendige auf der Welt ausstieß, während ich das Treppenhaus hinunterrannte.
Als ich aus der Haustür trat, vibrierte mein Oberschenkel. Ich klappte das Telefon auf und sah Lydias Namen blinken. Ich schaute dem
eingehenden Anruf
zu, wie man den letzten Atemzügen eines Sterbenden zusieht; nachwenigen Sekunden brach er ab, und eine kleine Notiz erschien am unteren Rand des Displays:
Anruf in Abwesenheit
.
Aus irgendeinem Grund traten mir Tränen in die Augen.
Ein Pantomime, an dem ich auf meinem Nachhauseweg vorbeikam, imitierte mein trauriges Gesicht. Als ich stehen blieb und ihn verdattert ansah, bot er mir zur Aufmunterung einen unsichtbaren Blumenstrauß an. Seine Augenbrauen hoben sich erwartungsvoll, als ich mit geballten Fäusten auf ihn zuging.
Als der Klinikclown im Zimmer verschwunden war, hielt ich es nicht mehr aus, holte mein Handy aus der Tasche und schrie ein paar Flüche in das tote Telefon. Aber schon nach den ersten Worten wurde ich leiser und plapperte eine Weile vor mich hin, einfach, um nicht einzufrieren oder den Verstand zu verlieren.
Ich ging den ausgestorbenen Gang entlang.
– Überall hängen diese albernen Kinderzeichnungen, weißt du, sagte ich, diese hingeklecksten Kunstwerke mit Patschhändchen-Wolken in Rot, Blau und Grün, und dann noch ein paar Herbstblätter, mit denen man ein ganzes Din-A3-Blatt gestempelt hat, und die Krankenschwester sagt:
Jööh, so schön, was du da machst, wie heißt denn das Bild?
Und das Kind antwortet:
Mama. Mama heißt dein Bild? Ja
. Das Bild besteht aus einem Haufen Blätter, und die Krankenschwester fragt nach:
Mag deine Mama denn gern Blätter?
Und das Kind sagt:
Meine Mama ist jetzt im Himmel und von da regnen immer die Blätter
. Gott, wie ich Krankenhäuser hasse. Wenn hier eines dieser Warndreiecke herumstünde, die vor dem glatten Boden warnen, würde ich es nehmen und in der Toilette verstecken,wo der Boden wirklich feucht und glitschig ist. Und dann würde ich ausrutschen, nach allen Regeln der Kunst, noch spektakulärer als damals im Heim. Auf dem fahrlässig rutschigen Boden würde ich mich schreiend hinschmeißen und mir vielleicht sogar was brechen und hinterher jemanden verklagen. Ja, das wäre genau das Richtige! Ach, verdammte Scheiße noch mal.
Ich hörte mit meinem Gerede auf, da es nichts zu bewirken schien, und steckte das Telefon zurück in die Tasche. Ein wenig besser fühlte ich mich allerdings, auch wenn die Erleichterung nur von kurzer Dauer sein würde.
Komm nur
, dachte ich, etwas verwirrt, ohne zu wissen, wen oder was ich damit meinte.
Komm nur her. Na los
.
Ich bemerkte, dass ich das Kinn vorgereckt hatte. Ich versuchte mich zu entspannen.
Ein Blick auf die Uhr. Siebenundzwanzig Minuten und fünf Sekunden. Die digitale Fünf erhielt ein weiteres Stäbchen und war jetzt eine Sechs. Mir wurde schwindlig, ich setzte mich wieder hin.
Schweiß brach mir aus, ich öffnete den Mantel, wickelte meinen Schal ab. Es war ohnehin noch viel zu warm für einen
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