Die Frequenzen
gebogenes Ding, eine Deformation, die ihn überallhin begleitete, außer in die Dunkelheit.
Er prallte gegen jemanden, der sinnlos am Eingang herumstand, und entschuldigte sich – aus unerklärlichen Gründen auf Französisch.
–
Excusez-moi!
Attacken
Ich trat an den Anmeldeschalter. Ich legte beide Hände auf das Trenngeländer, als befände ich mich auf einem Balkon mit Aussicht auf ein weites Schlachtfeld.
– Grüß Gott.
Die Empfangsdame reagierte mit einem Lächeln, das sich mühsam in ihrem Gesicht aufrichtete wie ein alter Mann in einem Sessel.
Sie fragte mich, wie sie mir helfen könnte.
– Dr. Valerie Messerschmidt bitte.
– Auf welcher Station arbeitet sie?
– Nein, sie ist gestern eingeliefert worden. Eine Patientin.
Die Anmeldedame lachte über das kleine Missverständnis. Dann kitzelte sie ihren Computer, bis dieser mit der Wahrheit rausrückte. Sie nannte mir das Stockwerk. Unfallchirurgie.
Eine merkwürdige Gestalt erschien am Ende des Korridors, wurde kurz unsichtbar, lief dann weiß an (so wie menschliche Wesen zuweilen rot anlaufen) und stellte sich vor eine Tür. Ein Clown mit riesigen Schuhen. Ein Klinikclown. Er sah mich nicht.
Er stand ganz still da, vor einer grauen Krankenzimmertür am Ende des langen Korridors. Der Clown sah zu Boden, und etwas in seinem verunstalteten Gesicht bewegte sich. Erst als er seine Hand zum Mund führte und küsste, bemerkte ich, dass er gebetet hatte. Er riss die Tür vor sich auf und stieß ein lautes Gelächter aus. Er versuchte durch die Tür zu gehen, aber natürlich hielt ihn irgendetwas zurück, es war sein dicker, ausgestopfter Hintern,also rutschte er aus und kugelte ins Zimmer. Ich sah ihn nicht mehr. Die Tür fiel von alleine hinter ihm zu.
Ich setzte mich wieder auf den Wartesessel. Frühestens in zwanzig Minuten, hatten sie gesagt. Eine Viertelstunde war vergangen und niemand war zu sehen. Da ich mich hastig auf den Weg gemacht hatte, hatte ich noch keine Zeit gehabt, das Mehl von meinen Schuhsohlen zu putzen. Außerdem hatte ich in der Eile vergessen, nach Fußspuren zu suchen. Wenn welche da waren, hatte ich sie beim Verlassen der Wohnung bestimmt verwischt.
Hin und wieder erschienen Schwestern, die große Metallgestänge oder einen unförmigen Essenswagen herumführten, der aussah wie Leonardo da Vincis Entwurf eines Panzers. Der einzige Zivilist, der auftauchte, während ich wartete, war ein alter Mann mit verbundenem Kinn.
Vermutlich hingefallen, dachte ich. Wie ich damals vor dem Sedlatschek. Der alte Vollidiot, was machte er jetzt wohl gerade? Lebt vor sich hin, atmet, hustet, atmet freier, schläft im Stehen plötzlich ein. Spielt Schach gegen die Zukunft, die zweite Etage, die Bettenstation. Eigentlich ein guter Mensch. Einer, der Unterhaltung liebt, wie wir alle. Bestimmt.
Die Uhr zeigte bereits eine Minute nach. Einundzwanzig Minuten. Die Nachspielzeit hatte begonnen, natürlich, Menschen waren keine Roboter, vor allem nicht Ärzte. Allerdings hatte ich jetzt keinerlei Anhaltspunkte mehr, wie lange es noch dauern konnte.
Ich versuchte still zu sitzen.
Aber schon bald musste ich aufspringen und ging auf und ab.
Ich nahm einen leeren Kaffeebecher aus einem Müllkorb und zerknüllte ihn.
Nach ein paar Minuten erschien der Clown wieder. Mit ein paar sparsamen Handbewegungen richtete er seine Kleidung und stellte sich vor der nächsten Tür auf. Diesmal sah ich sogar, wie er das Kreuzzeichen schlug. Welcher Patient freut sich heute noch über einen Clown?
Ich stellte mir vor, wie ich ihn zusammenschlug, langsam und genüsslich. Ihn Stück für Stück auseinanderzunehmen wäre jetzt genau das Richtige.
Ich musste an eine Episode mit Lydia denken. Ein Tag wie hinter prismatischem Glas, das alle menschlichen Figuren in pointillistische Gespenster verwandelt, die sich in Pixel auflösen, wenn sie sich entfernen.
– Damit das gleich klar ist, sagte sie. An meinem Gesicht hat dein Ding nichts verloren, geschweige denn in meinem Mund!
– Aber warum denn auf einmal?
– So eben.
– Mache ich vielleicht einen unsauberen Eindruck?
– Dann wäre ich ja wohl kaum mit dir zusammen!
– Was ist es dann?
– Weißt du was, du kannst wirklich nerven!
Eine qualvolle Pause verstrich.
– Jetzt sag’s mir schon. Ich kapier das nicht.
– Was soll ich sagen?
– Warum du nicht willst, dass ich –
– Weil ich es nicht will. Darum. Zufrieden?
– Nein, nicht zufrieden.
– Was, bist du jetzt vielleicht schockiert? Ist
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