Die Frequenzen
und gefallen ist, auf die Motorhaube eines zufällig im Garten parkenden Autos.
Kartesische Spaziergänger
Steiner wachte mitten in der Nacht auf und hörte Glockenläuten. In seinem rechten Ohr.
Es waren keine einzelnen Schläge, eher ein eintöniges Gemurmel, so wie man es am Abend bei geschlossenen Fenstern hören konnte, wenn alle Glocken der Stadt läuteten: ein brodelnder, gurgelnder Orgelton, der den Abend in die Stadt brachte.
Steiner steckte sich den kleinen Finger ins Ohr und schüttelte ihn. Laute Klangblitze zuckten durch seinen Kopf. Als er den Finger wieder herauszog und an seiner Bettdecke abwischte, hörte er für einige Sekunden nur mehr das beruhigende Rauschen seiner Ohren, die friedliche Zirkulation seines Blutes, dann aber kam der Glockenton zurück, murmelnd und bedrohlich.
Er sprang aus dem Bett und rannte zum Radio, aber er konnte den Sender nicht richtig einstellen. Das atmosphärische Schwirren und Brausen blieb.
Ein Spaziergang, das war’s, das würde ihn beruhigen und ihn wieder ein wenig zu sich bringen. Steiner zog sich sein Pyjamaoberteil an, das er sich dieses Jahr zu Ostern geschenkt hatte, und darüber eine leichte Jacke, denn in der letzten Zeit war es bis spät in die Nacht hinein noch angenehm warm.
Er ging am Park entlang, langsam, beide Hände in den Taschen. Er schaute in den Himmel. Die Milchstraße hing traurig da, ein bleiches ausgetrocknetes Flussbett. In den riesigen schwarzen Abständen zwischen den sichtbaren Sternen fühlte er eine seltsame Nähe zu sich selbst – das Gefühl war sehr verwirrend; er versuchte es genauer zu erfassen, ein wenig deutlicher zu spüren, aber da ging esauch schon unter, und nur der unergründliche dunkle Himmel über der Stadt blieb übrig.
Ein Flugzeug, das sich in der Nacht in ein blinkendes Insekt verwandelt hatte, flog schnurgerade zwischen den Bäumen durch. Das merkwürdige Gefühl kam wieder, diesmal stärker, Steiner streckte die Hand aus, aber niemand ergriff sie.
Niemand war da. Er hatte alle verscheucht.
Eine Parkbank löste sich aus einer reglosen Familie von Sitzgelegenheiten und galoppierte ihm nach, wurde langsamer und begann friedlich neben ihm herzugehen. Er wusste, dass sie gekommen war, um ihn zu trösten – ein plumper, wertloser Versuch. Aber sie hatte ja keine Vergangenheit und wahrscheinlich meinte sie es nur gut. Er tätschelte sie, ohne sie anzusehen. Das Holz fühlte sich kühl und feucht an. Eine Weile noch begleitete sie ihn, bis zum Ende des Parks – vermutlich war es ihr ab hier nicht mehr erlaubt weiterzugehen.
Steiner ging über die schmale Brücke, vorbei an einer mit unverständlichen Aufforderungen beschriebenen Plakatwand, und kam an eine kleine Kreuzung, auf der so spät kein Verkehr mehr stattfand. Das Ampelmännchen aber tat sein Bestes, sich die einsame Sinnlosigkeit seines Farbenspiels nicht anmerken zu lassen. Steiner überlegte, ob er umkehren und denselben Weg zurückgehen sollte, aber als er sich probeweise umwandte und wieder den Park vor sich erblickte, diesen großen, schwarzen Abgrund zwischen den klar voneinander abgegrenzten Gebäuden, wurde ihm kalt, und er wählte einen anderen Weg nach Hause.
Er ging langsam durch die hell erleuchtete Annenstraße und starrte in die Gesichter der Passanten, als wären sie unterhaltsame Bilderrätsel. In der UCI-Kinoweltreihte er sich in eine Warteschlange ein und kaufte sich einen Kübel Popcorn. Es war warm und schmeckte nach Papier.
Messerschmidt wanderte durch die leeren Räume der neuen Wohnung. Niemand war da. Das war sehr ungewöhnlich, aber angenehm. Er wusste ja nicht, wohin er sonst gehen konnte, in die alte Wohnung, in die ständige Gegenwart der warmen Waschlappen, der leisen Monologe und der lauten Schlagzeuggeräusche in seinem Hinterkopf.
Hinterzimmer.
Hinterkopf.
Was auch immer.
Er mochte die neue Wohnung, weil sie in letzter Zeit selten besucht war. Für mehrere Stunden oder Tage verfing er sich in einer großen, schon etwas angedunkelten Pfauenfeder, die ganz oben auf einem Bücherregal stand, und musste sich mühsam wieder daraus befreien, nur um sich gleich wieder zu verheddern, diesmal im krepppapierenen Gehäuse eines Zimmerlampions, der von konzentrischen Drahtringen in seiner Ellipsoidform gehalten wurde. Während er in dem durchleuchteten Gehäuse feststeckte und vorsichtig zappelte, dachte er: Was ist eigentlich ein Ellipsoid? Er hatte das Wort schon einmal verwendet. Er erinnerte sich an sein Zeichenbrett, an
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