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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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den Hals trug, verhöhnte sie, es raubte ihr die Sichtan den Rändern ihres Blickfeldes und beeinträchtigte ihr Gehör. Alles musste sich so anhören, als geschähe es ganz nah an ihrem Kopf, hinter ihr, auf ihrem Nacken, zwischen ihren aufgestellten Ohren. Deshalb wahrscheinlich gingen diese leichten Schauer durch ihr Fell.
    Blablabla
, die Stimme senkte sich über ihn, er spürte einen fremden, süßen Atem. Lippen berührten seine Stirn und zogen sich schnell wieder zurück. Dann wiederholte sich dieser Vorgang Hunderte Male, reichte rückwärts in die Zeit, bis es auf einmal seine Mutter war, die ihn mit ihren Lippen berührte, weil sie ihm etwas Wichtiges sagen musste, das man anders nicht sagen konnte. Er hörte das unangenehme Knirschen ihrer Zähne. Seit ihr die Weisheitszähne genommen waren, hatte sie ein wenig von ihrem Verstand eingebüßt. Eine ganze Woche war sie im Bett gelegen und hatte mit der Wand gesprochen. An der Wand hing das graue Bild eines Pferdes, und nichts, so dachte Messerschmidt, nichts auf der Welt konnte entsetzlicher sein als dieses Bild. Der hängende Kopf dieses Hengstes. Seine Hufe, ordentlich nebeneinander gestellt wie schwarze Plastikhüllen für eine Kameralinse, tot gepresste Filmzylinder.
    Das alles lag sehr weit zurück. Und doch passierte es wieder und immer wieder. Ein Vorteil bei der Sache war, dass er manchmal Ausgang bekam aus den endlosen Spiralen, in denen er gefangen war. Dann streunte er durch sein Revier, die alte Wohnung, die neue Wohnung, in der seine Tochter lebte, die seine Hündin versorgte. Oder lag das schon sehr weit zurück? Die Hündin, die Hündin …
    Er brachte alles durcheinander.
Chronologie
: eine exotische Pflanze aus dem Mittelalter, aus der man eine bewusstseinsverändernde Substanz gewinnen konnte.
    Er merkte, wie sich seine Lider über die Augäpfel bewegten. Zwei trockene Insektenflügel, die ein leeres Gehäuse bewachten. Jede Berührung mit Wasser würde ihr Ende bedeuten. Und das Ende der Dunkelheit.

Strafen
Halbwüchsiger prügelt sich mit Pantomimen
    Der Schauspieler und Pantomime Anselm S. (38) musste sich am Samstag auf einiges gefasst machen, als der Gymnasiast Alexander K. seinen Weg kreuzte. Wie der Angegriffene später detailgetreu schilderte, habe Alexander K. (18) den ahnungslosen Künstler, welcher auf seinem Stammplatz vor dem Grazer Rathaus die Passanten mit seinem Programm schon seit mehreren Jahrzehnten unterhält und bereits den Ruf eines „Grazer Originals“ genießt, attackiert.
    Nach dem Bericht von Augenzeugen warf sich Alexander K. auf Anselm S., der durch diese Attacke augenblicklich das Gleichgewicht verlor. Anschließend schlug der Täter auf sein am Boden liegendes Opfer ein. Das Opfer erlitt neben einer blutigen Nase auch Bissspuren an der Wange. Am schlimmsten wiegt eine Prellung des linken Ellenbogens, welche eine Ausübung seines Brotberufs für die nächsten Wochen unmöglich macht.
    Ein Freund des Pantomimen, der zufällig anwesend war und dazwischen ging, konnte den Angreifer schließlich überwältigen und ein Ausarten der Situation verhindern.
    Der Angreifer, der kurz vor der Matura steht, gab übermäßigen Stress als Ursache für sein Verhalten an. Er habe sich von dem Pantomimen provoziert gefühlt.
    Man muss sich das vorstellen: Zur Strafe für mein Vergehen werde ich auf ein früheres Alter zurückgestuft. Ich komme wieder in die erste Klasse der Volksschule. Meine noch junge Beziehung zu Lydia wird für nichtig erklärt; sie wird hinter eine große Metalltür mit Nummernschloss gesperrt.
    Vor meinen Augen wird jede einzelne Prüfung, jeder langweilige Biologietest, jede halsbrecherisch schwierige Mathematikschularbeit, jedes fünfminütige Diktat, das ich in meinem Leben bestanden habe, annulliert. Ich bin, rechtlich gesehen, wieder sechs Jahre alt.
    Vor einer Prüfungskommission, die aus ein paar alten Männern und drei glatzköpfigen Schaufensterpuppen besteht, die in bedeutungsvoll-bedrohlichen Gesten erstarrt sind, werde ich einer brutalen Befragung unterzogen, die schon nach wenigen Sekunden vorbei ist. Man zeigt mir ein Foto des verletzten Pantomimen und ich breche in Tränen aus. Ich bekomme ein Zeugnis in die Hand gedrückt, das mir bestätigt, dass meine Reife ungefähr derjenigen eines Dreijährigen entspricht. Gnadenhalber werde man mich wie einen Sechsjährigen behandeln, versichert man mir.
    Ich schluchze, entschuldige mich und bringe ein paar Argumente vor.
    Man schleppt mich fort,

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