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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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gewartet, weil er sich vor ihrer Reaktion gefürchtet habe und, wie er jetzt sehe, nicht zu Unrecht – Nina lächelte traurig. Ja, das Telefonbuch. Einen kräftigen Wurf habe sie übrigens. Sie scherzten ein wenig und er fuhr ihre Schultern entlang, die sich schon ein wenig entspannt hatten. Mit einigem Ärger stellte er fest, dass sich ihr Rücken gut anfühlte und dass er, trotz der aufgewühlten Situation, trotz der Tränen und seines gespielten Geständnisses, Lust bekam, ihr den Pullover abzustreifen und ihre Haut zu küssen, sie auf seinen Wangen und auf seinem Kinn zu spüren, ihren herben, vertrauten Geruch, wenn sie erregt oder durcheinander war. Frauen, durcheinander. Es hing bei ihnen ja alles irgendwie mit dem Mond zusammen, dachte er. Emotional, wechselhaft, abhängig von Wolkenkonstellationen und der Anzahl sichtbarer Sterne. Abhängig von der Stunde des Tages.
    Diese Gedanken brachten seine lästige Erregung wieder zur Ruhe. Er stand auf. Nina fragte ihn, ob das jetzt das Ende sei, also, sie verstehe ihn und es tue ihr leid, irgendwie, diese ganze Sache. Und er habe ihr nichts Böses antun wollen, so viel sei ihr klar.
    – Aber bleib noch ein bisschen, bitte, sagte sie.
    Walter ging, aber er kam am nächsten Tag wieder. Und blieb. Nina machte Kaffee und fragte ihn aus, so wie sie es immer getan hatte. Nur diesmal über seine Homosexualität. Welcher Männertyp ihm am besten gefalle?
    – Nur nicht so schüchtern, sagte sie bitter.
    Er habe gerade sein
Coming-Out
hinter sich, sagte sie, also sei gerade ein neues Zeitalter angebrochen, da könne er ihr doch wenigstens das verraten. Ach, wirklich? Nein! Sie nämlich auch. Und wenn sie dann gleichzeitig reinlich und schmutzig waren, irgendwie beides zugleich. Ein wenigvon beidem. Ja, sicher, nicht zuviel. Und habe er sich von ihr angezogen gefühlt? Es sei schon in Ordnung. Bestimmt. Ein wenig, aber nicht genug. Natürlich, das sei in der Tat nicht ausreichend für eine Beziehung. Sicher, sie verstehe schon. Niemand könne seiner Natur entkommen. Welcher Typ sei ihm lieber, Orlando Bloom oder Benicio del Toro?
    Walter war das Gespräch anfangs unangenehm, und er improvisierte, so gut er konnte, dann allmählich entspannte er sich. Er hatte noch nie über solche Dinge nachgedacht. Er musste zugeben, dass es sich nicht falsch anfühlte, darüber zu sprechen. Aber es begann ihn auch schnell zu langweilen. Nina war gerade erst in Fahrt gekommen, da stand er schließlich auf und wollte gehen.
    Schnell stellte sie ihre Kaffeetasse auf den Tisch und fiel ihm um den Hals.
    – Bitte, sagte er und berührte ihren Arm.
    Sie ließ ihn los, wischte in ihrem Gesicht herum, als kämen aus allen möglichen Poren Tränen hervor. Sie begleitete ihn noch bis zur Wohnungstür, wo sie das Telefonbuch vom Boden aufhob und sich unter den Arm klemmte, während sie ihm die Tür aufsperrte.
    Als Walter hinterher in einem Café saß, um von der eigenartigen Szene auszuruhen, kam ihm alles, was er gesagt und getan hatte, sehr unwirklich vor. Alles war viel zu schnell passiert, im Zeitraffer, so wie in uralten Dokumentarfilmen, in denen berühmte Monarchen wie Wassereidechsen über die Weltbühne trippelten.
    Verloben, Heiraten oder Kinderkriegen, solche Gedanken hatte er sich schon lange abgeschminkt. Wenn er sich vorstellte, wie er langsam all diese Geschlechterrollen annahm, in diesem Gehege aus verkrampften, wahnsinnigen, erwachsenen, leidenschaftslosen und im Kern ohneZweifel bösartigen Entscheidungen, wurde ihm schlecht. Ehen. Was war so toll daran? Der Mann kommt am Abend nach Hause, aus der Welt der offenen Plätze, der Nahkämpfe, der Überlebensstrategien, der Verantwortungen, der Geschworenenblicke, der Überwachungen, lässt Hut, Mantel und Schuhe an der Haustür zurück und tritt ein in die Welt seiner Frau, lädt sie den ganzen Abend lang auf, während sie ihm die müden Bürofüße massiert, mit heiteren und lehrreichen Anekdoten und Eindrücken von
da draußen
, träumt dann ein wenig in seinem Schaukelstuhl und spricht mit leiser Stimme in ihr Ohr. Er blickt durch die Tür in das dunkle Kinderzimmer auf die kleinen, atmenden Körper unter der Decke. Das Licht eines Scheinwerfers huscht über die Wände und er ist zufrieden. Er lässt sich mit einem schweren Seufzer, der seinem Alter nicht angemessen ist, in einem Sessel unweit des Heizkörpers oder des Kamins nieder. Er winkt nach seiner Frau. Sie wischt sich die Hände an der Schürze ab und kommt zu ihm. In

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