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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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erschienen sie ihm. Natürlich, sie waren im Allgemeinen friedlicher als Männer, sie waren weniger grotesk, verbittert und von Zwangsvorstellungen zerquält, aber dennoch – die Art etwa, wie sie gleich zu Beginn einer Beziehung Geständnisse einforderten, unentwegt Geständnisse, Beichten und Berichte, vorzugsweise nachts, unter Tränen. Erst dann fühlten sie sich zugehörig und akzeptiert, wenn sie den Männern lange Geständnisse über ihre Vergangenheit abgerungen hatten, denn dann konnten sie dem Leben, das der Mann bisher geführt hatte, ohne sie, leichter vergeben und sich einreden, sie wären die Erste und die Einzige. Alle Frauen wollten im Grunde derKaiser von China sein, der, an dessen Namen Walter sich jetzt nicht erinnern konnte, der die große Mauer bauen und alle Bücher in seinem Reich verbrennen ließ, damit die Geschichte mit ihm begann und nichts vor ihm war als ein chaotisches Zeitalter erinnerungsloser Barbarei. Und dann, wenn diese Vorarbeit getan war, dachte Walter, und das runde Gesicht von Jessica, der ersten Frau, mit der er Sex gehabt hatte, erschien vor ihm, wenn diese Vorarbeit getan war, erlaubten sie dem Mann unter großen emotionalen Vorbereitungen, sie zu entjungfern, und auch damit brach ein neues Zeitalter an und die Glocken läuteten und sie lagen still da und himmelten die Zimmerdecke an und konnten
bestimmt nie wieder einschlafen
. Und manchmal riefen sie einen mitten in der Nacht an und erklärten, wie frisch und neu sich alles
seither
anfühlte:
Und wie ist das für dich? Bitte sag mir alles, sag mir, wie du das empfunden hast
… Ihre große, ewig unstillbare Neugier. Ein Leben aus endlosen Verhören.
Wo bist du gerade mit deinen Gedanken. An wen denkst du, wenn du. Was bedeute ich dir. An was denkst du. Was denkst du im Augenblick, wenn du in mir. Wenn du mit mir. Wenn du ohne mich. Wenn du ganz allein in der Wohnung. Was hältst du von einem Urlaub, nur wir beide. Wie lange soll das noch so weiter. Wo warst du gestern. Wieso antwortest du nicht mehr auf meine
.
    Eigentlich musste man ihnen ja dankbar sein für diese Neugier, dachte er, denn es lag soviel Versöhnliches und Zutrauliches darin. Aber gleichzeitig weckte es Abwehr und Aggression. Dagegen konnte man nichts tun, es ging ganz automatisch.
    Eines Morgens, nach einem merkwürdigen orientalischen Traum, in dem er die Füße des großen Aristotelesübersetzers und -kommentators Averroes mit einer roten Feder kitzelte, bis dieser schließlich das Gleichgewicht verlor,hatte Walter entschieden, dass er seine Zuneigung nicht mehr zu gleichen Teilen unter den Geschlechtern aufteilen würde. Das viele Hin und Her konnte auf Dauer nicht gut gehen. Da seine intensivsten Beziehungen bisher die mit Männern gewesen waren, wollte er nun in dieser Richtung weitergehen und verließ noch am selben Tag Nina, die völlig ausrastete und ihm ein Telefonbuch nachwarf. Es verfehlte ihn und klatschte an die Wand. Nina schrie, ihre Stimme überschlug sich und ihr Gesicht wurde rot. In seiner Not schwindelte Walter ihr vor, dass er ausschließlich schwul wäre, was sie ein wenig friedlicher stimmte. Ihre Finger vergitterten sich vor ihrem Gesicht, und sie sank an der Wand in die Knie. Walter dachte, dass er noch niemals einen Menschen in derartiger Verzweiflung gesehen hatte. Er schaute auf seine Schuhspitzen, in denen sich seine Zehen befanden. Er bewegte einen Schuh, nach links, nach rechts, währenddessen hörte er Ninas leises Weinen. Schließlich setzte er sich zu ihr und streichelte mit seinen Fingerspitzen ihre Knie. Sie zog sie fort, verdeckte ihr Gesicht an der Wand.
    – Bitte, flüsterte Walter, versteh das doch, ich habe eben gedacht, ich könnte vielleicht, verstehst du, gegen meine Natur …
    Die Worte kamen im richtigen Tonfall. Nina beruhigte sich und ließ sich von ihm bei den Schultern nehmen. Sie saßen lange auf dem Boden. Nina verlangte von ihm, dass er ihr noch einmal alles ganz genau erklärte, und Walter sprach so wohlüberlegt und überzeugend, dass er sich beinahe selbst glaubte. Er sei schwul, das wisse er schon lange, aber er habe eben einmal sehen wollen, ob es auch mit Frauen funktioniere. Er habe gedacht, dass er mit der richtigen Frau, zum richtigen Zeitpunkt … Nein, sie sei dabei nicht sein Versuchskaninchen gewesen. Ein Versuchskaninchen bedeute einem nichts.
Aber ja. Nur eben nicht … Ja,genau
. Sie müsse das verstehen. Nichts liege ihm ferner, als sie zu verletzen. Er habe damit deshalb so lange

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