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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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Sessel, der Sessel saß auf ihr. Valerie und der Sessel waren eins. Messerschmidt war sich nicht sicher, ob sie aus diesem Zustand wieder herausfinden würde. Er hoffte es jedenfalls. Nein, er hoffte es nicht. Doch.
    Verschwinde, hörte er sich denken. Bleib, wo du bist.
    Bitte.
    Sie ging unsicher und still durch ihr Zimmer, verfing sich in allen möglichen Dingen, in der kleinen grünen Bibliothekslampe, in dem Stapel Bücher, die niemand mehr zu Ende lesen würde, in einem zwanzig Jahre alten, völlig zerfledderten Stoff-Octopus, in seinen pelzigen Tentakeln, einfach in allem.
    Ihre Finger hatten die Fähigkeit eingebüßt, locker und unabhängig über die Gegenstände ihres Lebens hinzugleiten. Dann kam der schmerzlichste Moment, der kommen musste und auch ihm nicht erspart geblieben war. Sie streckte eine Hand nach einem alten Zugticket aus, das seit einem halben Jahr sinnlos auf dem Schreibtisch gelegen hatte. Ihre Hand griff mittendurch und löste sich auf. Valerie schaute ungläubig auf die leere Stelle, die einmal ihre rechte Hand gewesen war. Es war immer dasselbe mit Gegenständen, die nichts bedeuteten. Sie konnten nichts tragen, nichts in sich bewahren. Wofür sie überhaupt existierten, wusste niemand. Sie waren nutzlos und feindlich. Der einsame Polizist. Der Bleistift in der Hand von Herrn Zmal. Valerie würde schon noch lernen, diese Dinge zu umgehen.
    Aber! Nein, nicht doch … Wie ein kleines Mädchen.
    Ob er hingehen sollte? Aber sie hatten sich nichts zusagen. Alles lag hinter ihnen, die ganze Welt war simpel und durchschaubar wie ein Puppenhaus.
    Schon hörte sie auf zu weinen. Bestimmt würde sie es nicht mehr tun. Letzte Nachbeben. Messerschmidt selbst kannte das, sie dauerten mitunter noch Jahrzehnte an (was immer man unter einem Jahrzehnt verstehen mochte), oder sie wurden zyklisch, wie bei dem alten kleinen Männlein, das jeden Monat einmal über das Hausdach gegenüber wanderte und dabei sehnsüchtig in den Garten hinunterstarrte, wo es sich viel lieber aufhielt als dort oben in Gegenwart der tief hängenden Sterne.
    Messerschmidt erbebte. Sie hatte ihn entdeckt, ihr Blick hatte ihn zuerst an der Schulter getroffen.
    Wenig später war sie aus dem Zimmer verschwunden und hatte ihren Rundgang durch alles, was es in der Wohnung gab, angetreten. Sie hielt oft inne und nahm das Überflüssige, Unverdiente in sich auf. Es fiel, ankerlos, durch sie hindurch. Schon bald lernte sie damit umzugehen und bewegte sich fort, ohne die Orte zu vermissen, von wo sie gekommen war. Gegen Abend war sie wieder in ihrem Zimmer und verhedderte sich in ihrer Armbanduhr, die den Rückweg vom Krankenhaus allein, in der Handtasche ihrer Mutter, hatte antreten müssen und sich nun kalt und abweisend verhielt.

    Uljana ruhte sich aus. So viel Aufregung, so viel Blut. Sie hatte die ganze Nacht nicht schlafen können. Jetzt war es wieder heller Tag und sie hielt sich versteckt. Ihre Kiefer mahlten in selbstständigem Eifer aneinander. Und manchmal entkam ihr ein Knurren.
    –
Rrrr …
    Sie war auf einen Parkplatz zurückgekehrt, um sich zu erholen. Der Parkplatz und die Autos hatten sich zwar verändert, alles war neu, aber das passierte manchmal mit Dingen, die in einer Stadt herumstanden, das musste man hinnehmen. Die Fahnen in der Ferne waren verschwunden.
    Hin und wieder suchte sie die helle Fensterreihe in der Ferne nach dem vertrauten Gefühl ab, aber alles blieb fremd und abweisend. Dennoch konnte sie sich nicht einfach beruhigen, alles vergessen und ihren kleinen, heißen Kopf einschlafen lassen.
    Sie wartete.
    Sie würde den ganzen Tag warten, wenn es sein musste. Die Attacke in der Nacht hatte ihren Kampfinstinkt entfacht. Sie war mehrere Stunden wie irr durch die Gegend gerannt, hatte sich verlaufen und war schließlich hierher gekommen, was nun wie ein schlimmer Fehler aussah. Sie hatte das Gefühl, die Stadt und der Bezirk seien vielleicht über Nacht geschrumpft.
    Die süßen, angenehmen Nachwehen der Attacke knisterten über ihr müdes Gehirn. Immer wieder biss sie in Gedanken zu, vergrub die Zähne in die dargebotene Hand. Alles geschah so glatt und geschmeidig, ein Gefühl wie das Verstreichen von Zeit, wenn man es am wenigsten mitbekommt.
    Sie erlaubte sich einen jener lauten, jaulenden Hundeseufzer, gähnte und klappte ihr Maul wieder zu.
    –
Chp!
    Mmmh, dieses genüssliche Knacken der Knöchel, als sie zugebissen hatte, und dann das ganze prächtige dicke ängstliche verräterische salzhaltige

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