Die Frequenzen
abtrocknete.
Als er an diesem Abend im Bett lag, schlüpfte Gabi zu ihm unter die Decke und sie schliefen miteinander. Er konnte es fast nicht glauben. Ihre Bewegungen glichen denen einer Schlange, die unter abenteuerlichsten Verrenkungen versucht, sich alle Wunden auf ihrem Körper gesund zu lecken. Sie verletzte ihn an der Unterlippe. Und er schlug sie aus Versehen mit dem Ellbogen, aber sie bettelte spielerisch um mehr. In einer Mischung aus Schmerz und Erregung erreichten sie beide den Höhepunkt und fielen dann wieder auseinander.
In den folgenden Tagen wiederholten sie das sonderbare Ritual, das sie beide gleichermaßen verwirrte und entwaffnete, mehrere Male. Selbst dann, wenn das Baby schrie, ließen sie nicht sofort voneinander ab, sondern stocherten und hämmerten noch mehrere Sekunden aufeinander ein, auf der Suche nach dem Punkt, da die Milch des Universums überkochte und ihnen die Haut verbrannte.
Wolfgang merkte, wie allmählich alle Hemmungen von ihm abfielen. Er ertappte sich dabei, wie er seine Frau ohne Kondom in den Arsch fickte – ohne dass er sie um Erlaubnis gefragt hätte. Sie war einfach plötzlich unter ihm gelegen und er hatte getan, was er wollte. Manchmal stellte er sie sich in einem Nonnenkostüm vor oder mit dem glatten Fischschwanz einer Meerjungfrau.
Auch Gabi versuchte alles, um die eben erst zurückgewonnene Intensität nicht gleich wieder an Routine und Alltag zu verlieren. Wenn sie mit Wolfgang schlief, stellte sie sich vor, dass er dabei an andere Frauen dachte, aber zu feige war, um es zuzugeben und den Namen einer anderen Frau zu stöhnen (sie hasste ihren Namen,
Gabriele
, er war stumpf und grün wie eine unreife Banane). DerGedanke erregte sie so sehr, dass sie selbst, wie um das gedankliche Gleichgewicht zwischen ihm (der in ihrer Fantasie Fantasien mit anderen Frauen durchlebte, während ihm sein kleines, grünes Schiedsrichterpfeifchen rhythmisch gegen die nackte Brust baumelte) und sich wiederherzustellen, anfing, sich andere Männer vorzustellen, die in wechselnden Stellungen ihre Vagina oder ihren schmerzhaft gedehnten Anus bearbeiteten (denn diese Strafe hatte sie verdient!), so lange, bis sie ihren Höhepunkt erreicht hatte und kleinere Mengen Flüssigkeit verspritzte.
Wolfgang machte das Angst. Er hielt den Vorgang für unnatürlich, vielleicht war er sogar gefährlich (eine Folge der Medikamente oder gar der Schwangerschaft?), und suchte im Internet nach Beschreibungen dieses seltenen Phänomens. Gabi war ebenfalls mit ihren Orgasmen nicht zufrieden. Sie waren zwar lauter und greller als zuvor, dafür aber gleich wieder vorbei, wie Böllerschüsse im Dunkeln. Sie versuchte sich zu beherrschen und den warmen, geruchlosen Strahl zu unterdrücken, aber davon wurde alles nur noch schlimmer und sie verspritzte mehr Flüssigkeit als zuvor.
Frisch aneinandergeschmiedet, triefend und zufrieden, lagen sie nebeneinander im Bett. Im Flüsterton unterhielten sie sich. Das Baby schlief im Nebenzimmer. Um Gabis Vertrauen zu gewinnen, erzählte Wolfgang ihr eine peinliche Geschichte, die ihm vor kurzem passiert war. In der Schule, wo er Sport unterrichtete, hatte ein Mädchen in der Umkleidekabine ihre Regel bekommen und war von den anderen Mädchen verspottet worden.
– Das arme Ding, sagte Gabi.
Und sie sagte das so klar und aufrichtig, dass Wolfgangglaubte, jetzt sei das Schlimmste überstanden. Er schlug ihr vor, vielleicht zu einer Gesprächstherapie zu gehen, einfach so, zum Abschluss.
Verstärkung
Weihnachten, das Sterbegeleit für einen im Wohnzimmer verfallenden Baum, der mit Girlanden, Sternen, Engelpuppen und anderem Kinderspielzeug von seiner bevorstehenden Auflösung abgelenkt wird. Unsicher und ängstlich steht er da und streckt seine Zweige erfolglos nach anderen Bäumen aus. Schon regnen seine Nadeln zu Boden, auf den kleinen quadratischen Teppich, die Krippe und die Geschenke. Gott sei Dank sind da Menschen, die ihm in seinen letzten Stunden Gesellschaft leisten, sie singen ihm vor, knien sich vor ihn hin, zupfen an seinen Ästen herum, hängen ihm glitzernde Infusionen an und lassen ihn in seinem künstlichen Fundament stehen, solange er noch alles mitbekommt, was rund um ihn geschieht – das lange Zusammensitzen der Familie an den Abenden, wenn sich in den Fenstern ein gespenstisches Panorama entfaltet: eine Vielzahl heller Fensterquadrate mit einer Vielzahl kleiner Baumskelette darin, ein Todesbild aus der Zukunft; der weihnachtliche Streit
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