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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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bewiesen oder widerlegt war.
    Die Leechkirche, das älteste sakrale Gebäude der Stadt, verfügte über eine ausgezeichnete Akustik. Außerdem war sie fast immer leer, deshalb waren die tapferen Überbleibsel des Harmoniekurses, zwei von den Frauen, Jutta und Gabi, und der junge Musikstudent mit dem langen Pferdeschwanz und dem Pharaonenbart, bei ihren Übungen für mehrere Stunden ungestört.
    Als Walter vor der Kirche stand, hörte er bereits ihren nervös modulierenden Gesang, ein
Aaaah
, das sich langsam in ein
Ooooh
verwandelte. Ein wenig erinnerte der Klang an das meditative
Ommm
eines Flugzeugs.
    Er trat ein. Die drei Köpfe wandten sich um, ohne mit dem Singen aufzuhören. Er gesellte sich zu ihnen und summte mit. Er modulierte den Ton in seinem Mund, aber eine Obertonmelodie wollte nicht entstehen. Er war viel zu nervös und beobachtete die Gesichter der anderen, die die Augen geschlossen hielten.
    Ich spiele mit, dachte er. Ich spiele nur mit.
    Erst nachdem sie aufgehört hatten, begrüßten sie sich. Gabi sah ihn fasziniert an. Sie summte irgendeinen Ton. Als Walter den jungen Musikstudenten, an dessen Namen sich niemand erinnern konnte, fragte, ob er schon Fortschritte gemacht habe, sagte er:
    – Ich hab das schon einmal gemacht. Ich bin auf die Quelle gestoßen.
    Gabi kicherte.
    Walter glaubte, auch etwas sagen zu müssen, über das die anderen staunen konnten. Immerhin war das sein Metier. Er sah in die Gesichter der Anwesenden und hatte auf einmal dieses Gefühl wie damals in der Küche seines Vaters, an seinem Geburtstag, als er genau gewusst hatte, welchen Ton er anschlagen musste, damit ihn alle entzückt anstarrten.
    – So als würde das Schweigen sich plötzlich lichten, begann er.
    Da brach Jutta plötzlich in ein unkontrollierbares Husten aus, sie schnappte nach Luft und ihre Hände flatterten wie zwei aufgescheuchte Tauben, die vor einer bevorstehenden Katastrophe warnen wollen. Die dünne Frau wurde durchgeschüttelt, Gabi klopfte ihr mit nachlassendem Lächeln auf den Rücken, aber es wurde dadurch nur noch schlimmer. Schließlich war sie völlig rot angelaufen und kniete sich händeringend in die Kirchenbank, um wieder zu Atem zu kommen. Gabi hielt ihre Hand, summte einen Ton, und Walter, der sich während des Erstickungsanfalls nicht einen Zentimeter bewegt hatte, bemerkte, dass sein Mund offen stand, wie so oft, wenn man ihn unterbrach. Er klappte ihn zu.
    – Ich glaube für. Heute war das. Genug Gesang ja.
    Gabi stimmte Jutta zu und ließ für sie ein breites Lachen auf ihrem Gesicht entstehen. Der Musikstudent war aufgestanden. Er hatte seinen Schlüsselbund aus der Tasche genommen und ließ ihn wie ein Anti-Stress-Spielzeug durch seine Finger gleiten.
    – Vielleicht, dass da was aufbricht, sagte er schließlich und deutete auf Jutta, dann auf seinen Hals.
    Jutta schaute ihn an, sah dann auf ihre Hand, die immer noch in der kleinen, zittrigen Faust von Gabi steckte, undnickte. Sie zog ihre Hand vorsichtig aus der Umklammerung und blickte auf die Uhr.
    – Fast so, als würde das Schweigen irgendwie gebrochen, sagte Walter.
    Er schämte sich sofort. Die drei schauten ihn an, auf Juttas Gesicht standen Ratlosigkeit und Angst. Walter sah zu dem Musikstudenten, dessen Schlüsselbund sich inzwischen so schnell zwischen seinen Fingern bewegte, als hätte er sich verflüssigt. Der Student blickte mit unverhohlenem Hass zurück.
    –
Öffnung
, sagte er leise. So was wie der
Fluss
?
    Walter überkam der Verdacht, dass der Musikstudent vielleicht nicht mehr ganz bei Trost war. Ohne sich viel zu denken, fragte er Jutta, ob es wieder besser gehe, ob er ihr helfen solle aufzustehen.
    Sie nickte, immer noch ein wenig kurzatmig, und ließ sich von ihm hochziehen. Sie war erstaunlich leicht, fand Walter. Als sie erst einmal aufrecht stand, beugte sie sich ein wenig nach vor und strich über ihre Knie.
    – Geht’s?
    – Ja. Ja, danke. Gut, dann …
    Sie winkte den Anwesenden zum Abschied und ging in Richtung Tür davon. Gabi winkte hinterher. Der Musikstudent murmelte etwas Unverständliches und Walter drehte sich zu ihm um.
    Der Student hielt seine Faust vor dem Kehlkopf und ließ sie dann in Zeitlupe explodieren, als wollte er andeuten, dass sich in Juttas Kehle soeben der Urknall ereignet habe. Er war tatsächlich wahnsinnig, dachte Walter. Sein Bedürfnis, etwas Bestaunenswertes zu sagen, war völlig verschwunden. Er ging ein paar Schritte auf den Ausgang zu. Warum habe ich mich nur auf diese

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