Die Freude am Leben
wieder zur Hölle.
Da fragte sich das junge Mädchen in den letzten Aufwallungen ihrer Eifersucht, ob sie das Recht hatte, Lazare ihr Glück aufzuzwingen. Gewiß, sie wollte ihn vor allem glücklich wissen, selbst um den Preis ihrer Tränen. Warum ihn also derart einschließen, ihn zu einer Einsamkeit zwingen, unter der er zu leiden schien? Bestimmt liebte er sie noch, würde er zu ihr zurückkehren, wenn er sie durch den Vergleich mit der anderen besser beurteilte. Auf jeden Fall mußte sie ihm erlauben zu wählen: Das war gerecht, und der Gerechtigkeitsgedanke blieb für sie oberstes Gebot.
Jedes Vierteljahr begab sich Pauline wegen ihrer Jahreszinsen nach Caen. Sie fuhr am Morgen los und kam am Abend zurück, nachdem sie eine ganze Liste kleiner Einkäufe und Besorgungen erledigt hatte, die sie während der drei Monate aufstellte. Dieses Jahr im Juni wartete man bis neun Uhr vergeblich mit dem Abendessen auf sie. Chanteau, der sehr beunruhigt war, hatte aus Furcht, daß ein Unfall geschehen sein könne, Lazare auf die Landstraße geschickt, während Véronique mit ruhiger Miene sagte, man täte unrecht, sich aufzuregen: Das Fräulein habe sich gewiß verspätet und sich entschlossen, in Caen zu übernachten, in dem Wunsch, alle ihre Besorgungen zu erledigen. Man schlief sehr schlecht in Bonneville; und am nächsten Morgen begannen beim Frühstück die Ängste von neuem. Gegen Mittag entschloß sich Lazare, da es sein Vater nicht mehr aushielt, sich auf den Weg nach Arromanches zu machen, als das Hausmädchen, das auf der Landstraße Wache stand, wieder erschien und rief:
»Da kommt Mademoiselle Pauline!«
Man mußte Chanteaus Sessel auf die Terrasse rollen. Vater und Sohn warteten, während Véronique Einzelheiten angab.
»Es ist der Wagen von Malivoire ... Ich habe Mademoiselle Pauline von weitem an ihren Kreppbändern erkannt. Nur, es kam mir seltsam vor, man könnte meinen, es ist noch jemand dabei ... Wo bleibt er denn nur, dieser Klappergaul!«
Endlich hielt der Wagen vor der Tür. Lazare war näher getreten, und er tat schon den Mund auf, um Pauline, die leichtfüßig auf die Erde gesprungen war, zu befragen, als er betroffen innehielt: Hinter ihr sprang ein anderes junges Mädchen in einem fein gestreiften lila Seidenkleid heraus. Beide lachten wie gute Freundinnen. Seine Überraschung war so groß, daß er zu seinem Vater zurückging und sagte:
»Sie bringt Louise mit.«
»Louise! Ach, das ist ein guter Gedanke!« rief Chanteau aus.
Und als sie nebeneinander vor ihm standen, die eine noch ganz in Trauer, die andere in ihrer fröhlichen Sommergarderobe, fuhr er, entzückt über diese Zerstreuung, fort:
»Was denn? Ihr habt Frieden geschlossen ... Wißt ihr, ich habe das nie richtig begriffen. Na, war das nicht dumm? Und wie unrecht du hattest, meine arme Louisette, uns das nachzutragen in all dem Kummer, den wir hatten! Nun, es ist vorbei, nicht wahr?«
Vor Verlegenheit standen die jungen Mädchen unbeweglich da. Sie waren rot geworden, und ihre Blicke wichen einander aus. Louise küßte Chanteau, um ihr Unbehagen zu verbergen. Aber er wollte Erklärungen.
»Ihr habt euch also getroffen?«
Da wandte sie sich mit vor Rührung feuchten Augen zu ihrer Freundin.
»Pauline war es, sie ist zu meinem Vater gegangen. Ich kam gerade heim. Ihr dürft sie nicht ausschelten, daß sie geblieben ist, denn ich habe alles getan, um sie zurückzuhalten ... Da der Telegraph nur bis Arromanches geht, haben wir gedacht, wir würden zur selben Zeit hiersein wie eine Depesche ... Verzeiht ihr mir?«
Sie küßte Chanteau noch einmal in ihrer schmeichelnden Art von früher. Er verlangte nichts weiter: Wenn alles zu seinem Vergnügen ausging, fand er es gut.
»Und du, Lazare«, begann er wieder, »sagst du ihr nichts?«
Der junge Mann war, gezwungen lächelnd, im Hintergrund geblieben. Die Bemerkung seines Vaters verwirrte ihn vollends, um so mehr, als Louise von neuem errötete, ohne einen Schritt auf ihn zu zu machen. Warum war sie da? Warum brachte seine Cousine diese Nebenbuhlerin zurück, die sie so roh verjagt hatte? Er war dadurch so betroffen, daß er sich nicht mehr zurechtfand.
»Gib ihr einen Kuß, Lazare, da sie es nicht wagt«, sagte Pauline sanft.
Sie war ganz weiß in ihrer Trauerkleidung, doch ihr Gesicht war ruhig und ihre Augen klar. Mit ihrem mütterlichen Ausdruck, diesem ernsthaften Ausdruck, den sie in den wichtigen Stunden des häuslichen Lebens annahm, schaute sie die beiden an; und sie
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