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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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er ihr Brusttuch auseinanderschieben, um nachzusehen. Sie war zurückgewichen, sie standen verwirrt, gezwungen lächelnd einander gegenüber. An einem anderen Tage weigerte sie sich während eines Versuchs, ihre Hände in kaltes Wasser zu tauchen. Er war verwundert, wurde ärgerlich: Warum? Was für eine sonderbare Laune? Wenn sie ihm nicht helfen wollte, konnte sie auch hinuntergehen. Als er sie erröten sah, begriff er dann, sah er sie mit erstauntem Gesicht an. Dieses kleine Mädchen, dieser jüngere Bruder war also tatsächlich ein Weib? Man konnte sie nicht berühren, ohne daß sie einen Klagelaut ausstieß, man durfte nicht mehr an allen Tagen des Monats auf sie rechnen. Bei jedem neuen Vorfall gab es ein Verwundern, gleichsam eine unvorhergesehene Entdeckung, die sie in ihrer jungenhaften Kameradschaft beide in Verlegenheit brachte und erregte. Lazare schien darüber nur Ärger zu empfinden, es würde nicht mehr möglich sein, zusammen zu arbeiten, weil sie kein Mann war und ein Nichts sie aus der Fassung brachte. Was Pauline betraf, so blieb in ihr ein gewisses Unbehagen zurück, eine Bangigkeit, in der ein köstlicher Zauber aufkeimte.
    Von diesem Augenblick an entstanden in dem jungen Mädchen Empfindungen, über die sie zu niemand sprach. Sie log nicht, sie schwieg nur aus ängstlichem Stolz und auch aus Scham. Mehrmals glaubte sie, sie sei leidend, stehe vor dem Ausbruch einer schweren Erkrankung, denn sie legte sich mit Fieber zu Bett, ausgebrannt von Schlaflosigkeit, gänzlich fortgerissen von dem dumpfen Aufruhr des Unbekannten, das über sie herfiel; am Tage dann war sie nur wie zerschlagen, beklagte sie sich nicht einmal ihrer Tante gegenüber. Hinzu kamen jähe Hitzewallungen, eine nervöse Erregung, unvermutete Gedanken, die sie gleich darauf empörten, und vor allem Träume, aus denen sie aufgebracht gegen sich selber hervorging. Ihre Lektüre, diese leidenschaftlich durchbuchstabierte Anatomie und Physiologie hatten ihr eine so große körperliche Jungfräulichkeit erhalten, daß sie bei jeder Erscheinung in kindliche Betroffenheit zurückfiel. Dann beruhigte sie folgende Überlegung: Sie war kein Sonderfall, sie mußte darauf gefaßt sein, zu sehen, wie dieser für die anderen geschaffene Mechanismus des Lebens sich in ihr selber entfaltete. Eines Abends nach dem Essen äußerte sie ihre Ansicht über den Unsinn der Träume: War es nicht ärgerlich, wehrlos auf dem Rücken zu liegen, eine Beute wunderlicher Vorstellungen? Und vor allem schien sie das Sterben des Willens im Schlaf, das völlige Preisgegebensein ihrer Person aufzubringen. Ihr Cousin mit seinen pessimistischen Theorien griff ebenfalls die Träume an, weil sie das vollkommene Glück des Nichts störten, während ihr Onkel Unterschiede machte, die angenehmen Träume liebte, die Alpträume des Fiebers verabscheute. Aber sie blieb so hartnäckig dabei, daß Frau Chanteau sie verwundert fragte, was sie denn in der Nacht sähe. Da stammelte sie: Nichts, widersinniges Zeug, zu unbestimmte Dinge, als daß man die Erinnerung daran bewahren könne. Und sie log noch immer nicht, ihre Träume verliefen in einem Zwielicht, Erscheinungen streiften sie, ihr weibliches Geschlecht erwachte zum sinnlichen Leben, ohne daß jemals ein deutliches Bild die Empfindung genau erkennen ließ. Sie sah niemand, sie konnte an eine Liebkosung des Seewindes glauben, der im Sommer durch das geöffnete Fenster hereinwehte.
    Indessen schien Paulines große Zuneigung für Lazare mit jedem Tag glühender zu werden; und in ihrer siebenjährigen brüderlichen Kameradschaftlichkeit war dies nicht allein das instinktive Erwachen des Weibes, sie hatte auch das Bedürfnis, sich aufzuopfern, ein Trugbild zeigte ihn ihr als den Klügsten und Stärksten. Langsam wurde aus dieser Brüderlichkeit Liebe mit dem köstlichen Gestammel aufkeimender Leidenschaft, mit klangvoll schauerndem Lachen, mit verstohlenen und nachdrücklichen Berührungen, der ganze verzauberte Aufbruch nach dem Land der reinen Zärtlichkeiten unter dem Peitschenhieb des Geschlechtstriebes. Er, der durch seine Ausschweifungen im Quartier Latin geschützt und nicht mehr neugierig war, sah weiterhin in ihr eine Schwester, die sein Begehren nicht streifte. Sie hingegen, die noch unberührt war, betete ihn nach und nach an in dieser Einsamkeit, darin sie niemand fand als ihn, und gab sich völlig hin. Wenn sie vom Morgen bis zum Abend zusammen waren, schien sie nur von seiner Gegenwart zu leben; voller Eifer,

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