Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
Boutigny begann Befürchtungen zu äußern, als er die Kosten unaufhörlich ansteigen sah. Warum hatte man sich nicht zunächst mit den unbedingt notwendigen Sälen, mit den unerläßlichen Maschinen begnügt? Weshalb diese komplizierten Bauten, diese ungeheuren Apparate im Hinblick auf eine Ausbeutung, die man besser nach und nach erweitert hätte, wenn man sich über die Bedingungen der Herstellung und des Verkaufs gänzlich im klaren gewesen wäre? Lazare ereiferte sich. Er dachte immer in großen Dimensionen, er hätte den Schuppen gerne eine monumentale Fassade gegeben, die das Meer beherrschte und vor dem grenzenlosen Horizont die Größe seiner Idee dartat. Dann ging die Besichtigung in einem Hoffnungsfieber zu Ende: Wozu mit dem Pfennig knausern, da man doch das Glück in Händen hielt? Und der Heimweg war sehr fröhlich, man erinnerte sich an Mathieu, der fortwährend zurückblieb. Pauline versteckte sich plötzlich mit Lazare hinter einer Mauer, und beide freuten sich wie die Kinder, wenn der Hund, verblüfft, sich allein zu sehen, und im Glauben, er habe sich verirrt, in komischer Bestürzung hin und her lief.
    Jeden Abend empfing sie zu Hause dieselbe Frage.
    »Nun? Geht es voran? Seid ihr zufrieden?«
    Und die Antwort war ebenfalls immer dieselbe.
    »Ja, ja ... Aber sie werden nicht fertig.«
    Das waren Monate vollkommener Innigkeit. Lazare bezeigte Pauline eine lebhafte Zuneigung, in die sich die Dankbarkeit für das Geld mischte, das sie in sein Unternehmen gesteckt hatte. Nach und nach trat das Weibliche an ihr für ihn wieder zurück, er lebte neben ihr wie in Gesellschaft eines Jungen, eines jüngeren Bruders, dessen gute Eigenschaften ihn mit jedem Tage mehr rührten. Sie war so vernünftig, beseelt von so schönem Mut und so heiterer Güte, daß sie ihm schließlich eine uneingestandene Achtung einflößte, eine heimliche Ehrfurcht, gegen die er sich noch wehrte, indem er sie neckte. Ruhig hatte sie ihm von ihrer Lektüre erzählt, vom Entsetzen ihrer Tante angesichts der anatomischen Bildtafeln; und einen Augenblick war er überrascht und verlegen gewesen gegenüber diesem schon wissenden Mädchen mit seinen großen reinen Augen. Dann hatten sich ihre Beziehungen dadurch nur noch enger gestaltet, er nahm die Gewohnheit an, bei ihren gemeinsamen Untersuchungen, wenn sie ihm half, ungezwungen über alles zu sprechen: und das in vollkommener wissenschaftlicher Einfachheit, das zutreffende Wort gebrauchend, als gäbe es kein anderes. Sie selber schnitt alle Fragen an und schien nichts anderes im Sinn zu haben als die Freude, zu lernen und ihm nützlich zu sein. Aber sie belustigte ihn oft, so viel Lücken hatte ihre Bildung, eine so außergewöhnliche Mischung von einander widerstreitenden Kenntnissen trat dabei zutage: die Hilfslehrerinnenideen ihrer Tante zum einen, der Lauf der Welt, wie er sich in der Beschränktheit der geschämigen Auffassung der Pensionate darstellt; zum anderen die genauen Fakten, die sie in den medizinischen Werken gelesen, die das Leben erklärenden physiologischen Wahrheiten über Mann und Frau. Wenn sie etwas Naives von sich gab, lachte er so sehr, daß sie wütend wurde: Täte er nicht besser daran, statt zu lachen, ihr ihren Irrtum zu erklären? Und meistens endete so der Streit mit einer Belehrung, als junger, über das Herkömmliche erhabener Chemiker vervollständigte er ihre Bildung. Sie wußte zuviel, um nicht auch den Rest zu erfahren. Im übrigen vollzog sich ein langsames geistiges Wachstum, sie las immerzu, und nach und nach verknüpfte sie miteinander, was sie hörte, was sie sah, und blieb dennoch ehrerbietig gegenüber Frau Chanteau, deren wohlanständige Lügen sie auch weiterhin mit ernster Miene anhörte. Nur wenn sie mit Lazare in dem großen Zimmer war, wurde sie zum Jungen, zum Präparator, dem er zurief:
    »Sag, hast du dir diese Rotalge angesehen? Sie ist eingeschlechtig.«
    »Ja, ja«, erwiderte sie. »Männliche Organe in dicken Büscheln.«
    Dennoch stieg eine unbestimmte Verwirrung in ihr auf. Wenn Lazare sie bisweilen brüderlich anstieß, benahm es ihr für Sekunden den Atem, und ihr Herz klopfte heftig. Das Weib, das sie beide vergaßen, erwachte in ihrem Fleische mit dem Drängen ihres Blutes. Eines Tages stieß er sie, als er sich umdrehte, aus Versehen mit dem Ellbogen. Sie schrie auf und fuhr sich mit den Händen an die Brust. Was denn? Hatte er ihr weh getan? Aber er hatte sie doch kaum berührt! Und mit einer unbefangenen Bewegung wollte

Weitere Kostenlose Bücher