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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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will!«
    Er ging auf Véronique zu.
    »Versuche, sofort jemand nach dem Doktor zu schicken!«
    Véronique war näher ans Bett getreten, sie betrachtete die Kranke, war erschüttert, daß sie so rot aussah, und aufs tiefste erschrocken in ihrer wachsenden Zuneigung zu diesem Kind, das sie zunächst nicht hatte ausstehen können.
    »Ich laufe selber hin«, sagte sie einfach. »Das geht schneller ... Frau Chanteau kann ja unten Feuer machen, wenn Sie das für nötig halten.«
    Und noch gar nicht ganz wach, zog sie derbe Stiefel an und hüllte sich in ein Umschlagtuch; nachdem sie beim Hinuntergehen Frau Chanteau Bescheid gesagt hatte, ging sie dann mit weit ausholenden Schritten auf der schlammigen Landstraße davon. Von der Kirche schlug es zwei Uhr, die Nacht war so stockdunkel, daß sie über die Steinhaufen stolperte.
    »Was ist denn los?« fragte Frau Chanteau, als sie heraufkam.
    Lazare antwortete kaum. Er hatte soeben wild im Schrank gewühlt und nach seinen alten Medizinbüchern gesucht; und über die Kommode gebeugt, blätterte er mit zitternden Fingern die Seiten um und versuchte, sich die Vorlesungen, die er einst gehört, ins Gedächtnis zu rufen. Aber alles geriet ihm durcheinander, verwirrte sich ihm, er schlug unaufhörlich im Inhaltsverzeichnis nach und fand nichts mehr.
    »Es ist ohne Zweifel nur eine starke Migräne«, wiederholte Frau Chanteau, die sich gesetzt hatte. »Das beste wäre, sie schlafen zu lassen.«
    Da platzte er los.
    »Eine Migräne! Eine Migräne! Hör zu, Mama, du regst mich auf, daß du da so ruhig bleibst. Geh hinunter und mach Wasser heiß.«
    »Es ist wohl unnötig, Louise zu stören, nicht wahr?« fragte sie noch.
    »Ja, ja, vollkommen unnötig ... Ich brauche niemand. Ich werde schon rufen.«
    Als er allein war, ging er zurück und ergriff Paulines Hand, um ihr den Puls zu fühlen. Er zählte hundertfünfzehn Schläge in der Minute. Und er fühlte, wie diese brennendheiße Hand die seine drückte. Das junge Mädchen, dessen schwere Augenlider geschlossen blieben, legte in diesen Händedruck einen Dank und seine Bitte um Verzeihung. Wenn sie auch nicht lächeln konnte, so wollte sie ihm doch zu verstehen geben, daß sie gehört hatte, daß sie sehr gerührt war, ihn da zu wissen, allein mit ihr, ohne mehr an eine andere zu denken. Gewöhnlich graute ihm vor dem Leiden, bei der geringsten Unpäßlichkeit der Seinen rannte er davon, so schlecht eignete er sich zum Krankenpfleger, war so wenig seiner Nerven sicher, wie er sagte, daß er fürchtete, in Schluchzen auszubrechen. Daher auch empfand sie dankerfülltes Staunen, als sie merkte, daß er sich so aufopferte. Er selber hätte nicht zu sagen vermocht, welcher Eifer ihn antrieb, welches Bedürfnis, sich einzig auf sich selbst zu verlassen, um ihr Erleichterung zu verschaffen. Der glutvolle Druck dieser kleinen Hand erschütterte ihn, er wollte ihr Mut machen.
    »Es ist nichts, mein Liebling. Ich warte auf Cazenove ... Vor allem hab keine Angst.«
    Sie blieb mit geschlossenen Augen liegen und murmelte mühsam:
    »Oh! Ich hab keine Angst ... Das macht dir so viele Ungelegenheiten, und das bekümmert mich.« Mit noch leiserer Stimme hauchte sie dann: »Nicht wahr, du verzeihst mir? Ich bin heute häßlich gewesen.«
    Er hatte sich über sie gebeugt, um sie auf die Stirn zu küssen, als sei sie seine Frau, und er wandte sich ab, denn die Tränen erstickten ihn. Es kam ihm der Gedanke, wenigstens einen Beruhigungstrank zuzubereiten, bis der Arzt da wäre. Die Hausapotheke des jungen Mädchens befand sich in einem schmalen Wandschrank. Allein er fürchtete, sich zu irren, er fragte sie nach den Fläschchen, goß schließlich einige Morphiumtropfen in ein Glas Zuckerwasser. Wenn sie einen Löffel voll hinunterschluckte, war der Schmerz so heftig, daß er jedesmal zögerte, ihr noch einen zu geben. Das war alles, er fühlte sich außerstande, mehr zu versuchen. Das Warten wurde entsetzlich. Wenn er sie nicht mehr leiden sehen konnte und ihm die Beine durch das Stehen am Bett wie zerschlagen waren, schlug er wieder seine Bücher auf, in dem Glauben, er werde endlich den Fall und das Heilmittel finden. War es etwa eine Rachenbräune? Er hatte indessen keinen Belag auf den Pfeilern des Gaumensegels bemerkt; und er vertiefte sich in die Lektüre der Beschreibung und der Behandlung der Rachenbräune, verlor sich im Gewirr langer Sätze, deren Sinn ihm entging, eifrig bemüht, die nutzlosen Einzelheiten zu buchstabieren, wie ein Kind, das

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