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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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eine unverständliche Aufgabe auswendig lernt. Dann führte ihn ein Seufzer wieder an das Bett zurück, er zitterte, während ihm der Kopf von wissenschaftlichen Worten brummte, deren holprige Silben seine innere Unruhe verdoppelten.
    »Nun?« fragte Frau Chanteau, die leise wieder heraufgekommen war.
    »Immer noch dasselbe«, erwiderte er. Und er brauste auf. »Das ist ja schrecklich mit diesem Arzt ... Man könnte inzwischen zwanzigmal sterben.«
    Da die Türen offengeblieben waren, war Mathieu, der unter dem Küchentisch schlief, in seiner Sucht, den Leuten in alle Räume des Hauses zu folgen, die Treppe heraufgekommen. Seine dicken Pfoten machten auf dem Fliesenboden ein Geräusch wie alte wollene Hausschuhe. Er war sehr vergnügt über dieses nächtliche Unternehmen, er wollte zu Pauline ins Bett springen und schnappte nach seinem eigenen Schwanz, denn er merkte nicht, wie traurig seine Herrschaft war. Und Lazare, der über diese unpassende Freude aufgebracht war, versetzte ihm einen Fußtritt.
    »Hau ab oder ich erwürge dich! Siehst du denn nicht, du Dummkopf!«
    Ganz betroffen, daß er geschlagen wurde, schnupperte der Hund herum, als hätte er plötzlich alles begriffen, und kroch demütig unter das Bett. Aber über diese Roheit war Frau Chanteau entrüstet. Ohne zu warten, ging sie wieder in die Küche hinunter und sagte kurz angebunden:
    »Wenn du willst ... Das Wasser ist sicher schon heiß.«
    Lazare hörte sie auf der Treppe schimpfen, es sei empörend, ein Tier so zu schlagen, er würde am Ende noch sie selber schlagen, wenn sie dabliebe. Er, der gewöhnlich vor seiner Mutter auf den Knien lag, machte hinter ihr eine Gebärde maßloser Gereiztheit. Alle Minuten warf er einen Blick auf Pauline. Vom Fieber zermalmt, schien sie jetzt ins Nichts gesunken; und in der erschauernden Stille des Raumes war von ihr nur noch das Rasseln ihres Atems zu hören, der in das Röcheln einer Sterbenden überzugehen schien. Die Angst ergriff ihn wieder, unvernünftige, unsinnige Angst: Sie würde sicher gleich ersticken, wenn keine Hilfe käme. Er durchmaß ruhelos das Zimmer, schaute unaufhörlich auf die Pendeluhr. Kaum drei Uhr, Véronique war noch nicht beim Arzt angekommen. Er folgte ihr in der stockdunklen Nacht auf der Landstraße nach Arromanches: Jetzt hatte sie den Eichenwald hinter sich gelassen und kam bei der kleinen Brücke an, sie würde fünf Minuten gewinnen, wenn sie den Hang hinunterrannte. Jetzt veranlaßte ihn ein heftiges Verlangen, irgend etwas zu erfahren, das Fenster zu öffnen, obwohl er in diesem Abgrund von Finsternis nichts zu unterscheiden vermochte. Ein einziges Licht brannte tief unten in Bonneville, zweifellos die Laterne eines Fischers, der aufs Meer hinausfuhr. Es herrschte unheimliche Traurigkeit, unendliche Verlassenheit, in der er zu spüren glaubte, wie alles Leben dahinrollte und verlöschte. Er schloß das Fenster, öffnete es dann wieder, um es bald von neuem zu schließen. Das Zeitgefühl ging ihm schließlich verloren, er wunderte sich, es drei Uhr schlagen zu hören. Jetzt hatte der Doktor anspannen lassen, der Wagen flog auf dem Wege dahin und durchbohrte mit seinem gelben Auge die Dunkelheit. Und Lazare war angesichts der zunehmenden Atemnot der Kranken vor Ungeduld so verstört, daß er wie aus dem Schlaf aufschreckte, als gegen vier Uhr das Geräusch rascher Schritte die Treppe heraufkam.
    »Endlich sind Sie da!« rief er.
    Doktor Cazenove ließ sogleich eine zweite Kerze anzünden, um Pauline zu untersuchen. Lazare hielt die eine, während Véronique, deren Haar vom Wind zerzaust war und die bis zur Taille mit Schmutz bespritzt war, auf der anderen Seite am Kopfende des Bettes stand und die andere Kerze nahe heranhielt. Frau Chanteau sah zu. Die schlaftrunkene Kranke konnte den Mund nicht öffnen, ohne Wehlaute auszustoßen. Nachdem der Doktor sie sanft wieder hingelegt hatte, trat er, der bei seinem Kommen sehr besorgt gewesen war, mit ruhigerer Miene in die Mitte des Zimmers zurück.
    »Die Véronique hat mir eine schöne Angst eingejagt!« murmelte er. »Nach den ungereimten Geschichten, die sie mir erzählt hat, glaubte ich, es handele sich um eine Vergiftung ... Sie sehen, ich hatte mir die Taschen mit Arzneien vollgestopft.«
    »Es ist eine Angina, nicht wahr?« fragte Lazare.
    »Ja, eine einfache Angina ... Es besteht keine unmittelbare Gefahr.«
    Frau Chanteau machte eine triumphierende Gebärde, um zu verstehen zu geben, daß sie das ja gleich gewußt

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