Die Freude am Leben
Mädchenkörper herfiel? Wie besessen von dem Leiden, kehrte er unaufhörlich an das Bett zurück. Auf die Gefahr hin, Pauline zu ermüden, fragte er sie, ob sie noch mehr litt und wo es jetzt weh tat. Manchmal nahm sie seine Hand, legte sie auf ihren Hals: Dort war es, wie ein unerträgliches Gewicht, eine glühende Bleikugel, die da pochte, daß sie sie schier erstickte. Die Migräne wich nicht von ihr, sie wußte nicht, wie sie ihren von Schlaflosigkeit gepeinigten Kopf legen sollte; seit zehn Tagen, da das Fieber sie schüttelte, hatte sie nicht zwei Stunden geschlafen. Eines Abends waren, um das Elend voll zu machen, furchtbare Ohrenschmerzen aufgetreten; und bei diesen Anfällen verlor sie das Bewußtsein, es schien ihr, als zermalme man ihr die Kieferknochen. Aber sie gestand Lazare nicht dieses ganze Martyrium, sie legte einen schönen Mut an den Tag, denn sie fühlte, daß er fast ebenso krank war wie sie, daß sein Blut von ihrem Fieber brannte, daß seine Kehle von ihrem Abszeß gewürgt wurde. Oft sogar log sie, es gelang ihr, im Augenblick der heftigsten Ängste zu lächeln. Der Schmerz lasse nach, sagte sie und nötigte ihn, sich ein wenig auszuruhen. Das schlimmste war, daß sie nicht mehr ihren Speichel schlucken konnte, ohne einen Schrei auszustoßen, so zugeschwollen war ihr Rachen. Lazare schreckte aus dem Schlaf auf: Es begann also schon wieder? Von neuem befragte er sie, wollte wissen, an welcher Stelle; während sie mit schmerzverzerrtem Gesicht und geschlossenen Augen noch immer kämpfte, um ihn zu täuschen, stammelnd, daß es nichts weiter sei, nur irgend etwas, was sie gekitzelt habe.
»Schlaf, laß dich nicht stören ... Ich werde auch schlafen.«
Abends spielte sie diese Schlafkomödie, damit er zu Bett ging. Aber er bestand hartnäckig darauf, in einem Sessel bei ihr zu wachen. Die Nächte waren so schlecht, daß er den Tag nicht mehr ohne abergläubischen Schrecken schwinden sah. Würde die Sonne jemals wieder aufgehen?
Eines Nachts hielt Lazare, an das Bett gelehnt sitzend, Paulines Hand in der seinen, wie er es oft tat, um zu bedeuten, daß er dableiben und sie nicht verlassen werde. Doktor Cazenove war um zehn Uhr fortgefahren, voller Wut, weil er für nichts mehr einstehen konnte. Bis zu diesem Augenblick hatte sich der junge Mann mit dem Glauben getröstet, sie selbst wisse nicht, in welcher Gefahr sie schwebte. In ihrer Nähe sprach man von einer einfachen, sehr schmerzhaften Halsentzündung, die jedoch ebenso leicht vorübergehen werde wie ein Schnupfen. Sie selber schien ruhig, zeigte ein tapferes Gesicht, war stets heiter, trotz der Schmerzen. Wenn man von ihrer Genesung sprach und dabei Pläne machte, lächelte sie. Und auch in jener Nacht hatte sie zugehört, wie Lazare für ihren ersten Ausgang einen Spaziergang an den Strand plante. Dann hatte sich Schweigen niedergesenkt, sie schien zu schlafen, doch nach einer reichlichen Viertelstunde flüsterte sie mit deutlicher Stimme:
»Mein armer Freund, ich glaube, du wirst eine andere Frau heiraten.«
Er war betroffen, ein leichter Schauer lief ihm eisig über den Nacken.
»Wieso?« fragte er.
Sie hatte die Augen geöffnet, sie sah ihn mit ihrem Ausdruck mutiger Entsagung an.
»Laß sein! Ich weiß sehr wohl, was ich habe ... Und es ist mir lieber, daß ich es weiß, damit ich euch wenigstens alle umarmen kann.«
Da wurde Lazare böse: Wie könne sie solche Gedanken haben, vor Ablauf einer Woche würde sie auf den Beinen sein. Er ließ ihre Hand los und floh unter einem Vorwand in sein Zimmer, denn das Schluchzen würgte ihn. Dort im Dunkel ließ er sich gehen, war quer über das Bett gesunken, in dem er seit langem nicht mehr schlief. Eine furchtbare Gewißheit hatte ihm plötzlich das Herz zusammengeschnürt: Pauline würde sterben, vielleicht würde sie diese Nacht nicht überstehen. Und der Gedanke, daß sie es wußte, daß ihr Schweigen, das sie bisher gewahrt, der Heldenmut eines Weibes war, das selbst im Tode auf die Empfindsamkeit der anderen Rücksicht nimmt, brachte ihn vollends zur Verzweiflung. Sie wußte es, sie würde den Todeskampf kommen sehen, und er würde ohnmächtig dabeistehen. Schon sah er sich beim letzten Abschied, die Szene spielte sich mit jammervollen Einzelheiten in der Finsternis des Zimmers ab. Das war das Ende von allem, er nahm das Kopfkissen in seine zuckenden Arme, er drückte den Kopf hinein, um sein Aufschluchzen zu ersticken.
Indessen ging die Nacht ohne Katastrophe zu Ende. Zwei Tage
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