Die Freude am Leben
alles ablud, was sie auf dem Herzen hatte. Seit langem hielt sie diese empörten Mitteilungen zurück; doch diesmal sprudelten die Worte von selber hervor.
»Ach, Mademoiselle Pauline, Sie sind schön dumm, daß Sie auf deren Teller achtgeben. Ich an Ihrer Stelle würde alles zerschlagen.«
»Warum das?« fragte das junge Mädchen erstaunt.
»Weil Sie niemals so viel Schlechtes tun können, wie man Ihnen nachsagt.«
Und da legte sie los und ging bis auf die ersten Tage zurück.
»Muß das nicht den lieben Gott selber in Zorn versetzen? Sie hat Ihr Geld Sou um Sou aus Ihnen herausgesogen, und das auf so gemeine Art wie nur möglich. Ehrenwort! Man hätte meinen können, daß sie es war, die Sie ernährt hat ... Als es noch in ihrem Sekretär lag, Ihr Geld, machte sie alle möglichen Bücklinge davor, als hätte sie über die Jungfernschaft eines Mädchens wachen müssen; was ihre krummen Finger nicht hinderte, hübsche Löcher hineinzubohren ... Weiß der Himmel! Sie hat eine ganz schöne Komödie gespielt, um Ihnen die Sache mit der Fabrik an den Hals zu hängen und dann mit dem Rest des Vermögens den Laden hier in Schwung zu halten. Wollen Sie's genau wissen? Nun denn, ohne Sie wären sie alle vor Hunger verreckt ... Deshalb hat sie auch eine schöne Angst gekriegt, als die da aus Paris um ein Haar Stunk gemacht hätten wegen der Abrechnung! Ja doch, geradewegs vor das Schwurgericht konnten Sie sie bringen ... Und das ist ihr keine Lehre gewesen, sie nimmt Sie auch heute noch aus, sie wird Sie bis auf den letzten Heller aussaugen ... Sie glauben vielleicht, ich lüge? Hier, ich schwöre! Ich habe mit meinen Augen gesehen und mit meinen Ohren gehört, und dabei sage ich Ihnen noch nicht einmal das Gemeinste, aus Rücksicht, Mademoiselle Pauline, wie Sie krank waren und wie Frau Chanteau tobte, nur weil sie nicht in Ihrer Kommode herumwühlen konnte.«
Pauline hörte zu und fand kein Wort, um sie zu unterbrechen. Oft hatte der Gedanke, daß ihre Familie auf ihre Kosten lebte, sie haßvoll ausplünderte, ihr die glücklichsten Tage vergällt. Aber sie hatte es sich immer versagt, über diese Dinge nachzudenken, sie zog es vor, in Blindheit zu leben und sich selber des Geizes zu beschuldigen. Aber diesmal mußte sie wohl oder übel alles erfahren, die Brutalität dieser Mitteilungen schien die Tatsachen noch zu verschlimmern. Bei jedem Satz wurde ihre Erinnerung wach, sie ließ alte Geschichten wiedererstehen, deren eigentlicher Sinn ihr entgangen war, sie verfolgte Tag um Tag Frau Chanteaus Anstrengungen in bezug auf ihr Vermögen. Langsam war sie auf einen Stuhl gesunken, als sei sie plötzlich von großer Müdigkeit überwältigt. Eine schmerzliche Falte durchschnitt ihre Lippen.
»Du übertreibst«, murmelte sie.
»Wie, ich übertreibe?« fuhr Véronique heftig fort. »Es ist nicht so sehr die Geschichte mit den Sous, die mich aus der Fassung bringt. Aber ich werde ihr niemals verzeihen, daß sie Ihnen Herrn Lazare wieder weggenommen hat, nachdem sie ihn Ihnen erst gegeben hatte ... Ja, so ist es! Sie waren nicht mehr reich genug, er brauchte eine Erbin. Na? Was sagen Sie dazu? Erst plündert man Sie aus, dann verachtet man Sie, weil Sie nichts mehr haben ... Nein, ich werde nicht schweigen, Mademoiselle Pauline! Man reißt den Leuten nicht das Herz in Stücke, wenn man ihnen schon die Taschen geleert hat. Da Sie Ihren Cousin liebten und er Ihnen alles in Freundlichkeit hätte zurückzahlen müssen, ist es eine ausgemachte Gemeinheit, Sie auch noch von dieser Seite bestohlen zu haben ... Und sie hat diese ganze Geschichte eingerührt, ich habe es gesehen. Ja, ja, jeden Abend hat sie die Kleine angeheizt und für den jungen Mann mit einem Haufen unsauberer Geschichten entflammt. So wahr, wie diese Lampe uns bescheint, sie war es, die sie einander in die Arme getrieben hat. Am Ende hätte sie ihnen noch das Licht gehalten, um die Heirat unvermeidlich zu machen. Es ist nicht ihre Schuld, wenn sie nicht bis zum Äußersten gegangen sind ... Verteidigen Sie sie nur, jetzt, wo sie Sie unter ihren Füßen zertrampelt und schuld daran ist, daß Sie nachts wie ein Schloßhund heulen; denn ich höre Sie sehr wohl von meiner Kammer aus, ich werde noch krank von all diesem Kummer und all diesen Ungerechtigkeiten!«
»Sei still, ich flehe dich an«, stammelte Pauline, deren Mut am Ende war. »Du tust mir zu weh.«
Dicke Tränen rollten ihr über die Wangen. Sie fühlte, daß dieses Mädchen nicht log, ihre zerstörten
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