Die Freundin meines Sohnes
Mädchen aus eigenen Mitteln eine Miete in Manhattan aufbringen?
»Dr. Pete?« Laura war noch in Nachtwäsche: kurze Seidenshorts, ein blaues Top mit Spitze, ein flattriger kurzer blauer Morgenmantel. Als ob sie vor dem Aufstehen für eine Kampagne von Victoria’s Secret posiert hätte. Ich dachte daran, wie sie vor ein paar Wochen in meiner Küche gesessen hatte, den Finger auf meinem Unterarm. Dachte an all die früheren Sommer, als Iris in ihrem weißen Bikini in der Küche in Rehoboth gefrühstückt hatte.
»Dr. Pete?«, sagte Laura noch einmal.
»Entschuldige, dass ich so früh störe«, sagte ich und schämte mich plötzlich für uns beide.
»Ist schon okay. Ich verstehe das.« Ach ja? »Wollen Sie Kaffee?«
»Gerne.« Wir gingen es also freundlich an. Gut. Sie führte mich in die Küche und ließ mich an einem kleinen Holztisch Platz nehmen, auf den exakt das Licht von Osten fiel.
»Meine Mitbewohnerin ist nicht da. Sonst wäre sie bei Ihrem Klingeln ausgeflippt. Wendy braucht wirklich ihren Schönheitsschlaf. Werktags darf man vor acht keinen Krach machen, am Wochenende nicht vor zehn, und falls doch, muss man mit schrecklichen Konsequenzen rechnen.«
»Das klingt anstrengend«, sagte ich. Ich sah zu, als sie Kaffee aus dem Kühlschrank holte, ihn für die Filtermaschine abmaß. Sie hatte sich das rote Haar auf dem Kopf festgesteckt. In einem anderen Leben, einer anderen Küche war das Iris.
»Ich bin im Stillsein ziemlich gut.«
Also schwiegen wir, während sie den Kaffee machte, und horchten zusammen auf das in der Maschine sprudelnde und dampfende Wasser. Da begriff ich wenigstens teilweise, was so verführerisch an Laura war – jede Frau, die nur mit Nachtwäsche bekleidet in einer Wohnung in Manhattan starken Kaffee kochen kann, kann einem Vorort-Mann mittleren Alters wie ein Wunder vorkommen –, verstand aber immer noch nicht, was so eine Frau mit meinem armen, verwirrten Sohn wollte.
»Sie wollen über Paris sprechen, stimmt’s?«, sagte sie, als wir den Kaffee mit Zucker und Milch vor uns stehen hatten.
»Du sollst mir bloß helfen, zu verstehen, worum es dabei geht.«
»So viel ist da nicht dabei, Dr. Pete«, sagte sie. »Ich hab ein paar Freunde in Paris, die ich vorigen Herbst während der vendange kennengelernt hab. Richtig nette Leute mit Verbindungen in die Modebranche. Sie machen einen Klamottenladen in der Nähe der Halles auf, das war einmal der wichtigsteLebensmittelmarkt für Paris, der aber dann abgerissen wurde, und stattdessen steht da jetzt eine Mall und ein Park. Der Laden liegt im touristischen Teil der Stadt, und sie brauchen jemanden, der ihnen bei den englischsprachigen Kunden hilft. Ergo: moi .«
»Schön«, sagte ich. »Und was ist mit Alec?«
»Er will mitkommen.«
»Und was wird er dort machen?«
Sie schüttete sich noch etwas Zucker in ihren Kaffee. »Ich habe echt keine Ahnung«, sagte sie. »Im Laden helfen vielleicht, obwohl ich ihm gesagt hab, dass ich nicht sicher bin, ob die genug Arbeit haben. Vielleicht kann er seine Bilder auf der Straße verkaufen. In dem Viertel machen das viele.«
»Du möchtest, dass er seine Bilder auf der Straße verkauft.«
»Warum nicht?« Sie trank kleine Schlucke von ihrem Kaffee. Gut möglich, schoss mir auf einmal durch den Kopf, dass mein Sohn ihr vollkommen egal war.
»Laura, wenn ich dich etwas frage, wirst du mir ehrlich antworten?«
»Ich tue mein Möglichstes.« Sie kratzte sich an der blassroten Augenbraue.
»Warum möchtest du meinen Sohn überhaupt dabeihaben?«
Sie lachte. »Warum denn nicht?«
»Weißt du, was es heißt, mit einem Einundzwanzigjährigen im Schlepptau durch Paris zu ziehen? Einem Kind, das noch nie dort gewesen ist? Keinen Job hat? Nicht Französisch spricht?«
»Bei Ihnen klingt das, als könne er nichts«, sagte sie. »Er wird seine Bilder verkaufen. Und er möchte in die großen Museen gehen, die wichtige Kunst sehen.«
»Und dann was?«
»Wie dann was?«
»Wo wollt ihr wohnen?«
»Meine Freunde haben für den Anfang ein Zimmer für uns«, sagte sie. »Und dann finden wir bestimmt etwas eigenes.«
»Aha.« Eine kurze Weile sagten wir nichts. Eine Taube saß auf der Feuerleiter vor dem Fenster, gurrte nervös. Ich versuchte mir noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, wie Laura als kleines Mädchen gewesen war, als Tochter meiner ältesten, liebsten Freunde. Ich sah sie an, sah durch sie hindurch, sah sie in ihrem Kinderwagen, Elaine und ich schoben sie durch den Fairmount Park, am
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