Die Freundin meines Sohnes
vorgehabt, dort anzufangen? War die ganze Sache ein gigantischer Schwindel? Als ich vor vier Monaten beim Heimkommen die Broschüren gefunden hatte – hatte er damals ans College gehen wollen? Oder war er bloß darauf aus gewesen, mich zum Narren zu halten? Hatte er schon damals irgendwelche verqueren Ränke gegen mich geschmiedet?
Ich betrachtete seinen Koffer, seinen herrlichen, schönen Samsonite, den er ans College hatte mitnehmen und vier volle Jahre dort benutzen sollen. Ich öffnete mühsam das Fenster – es klemmte – und hob das Ding mit beiden Händen hoch. So schwungvoll wie ich konnte, warf ich den Koffer in die New-Jersey-Nacht, auf den Hof, auf das Grundstück, das wir gekauft und die vielen Jahre lang abbezahlt hatten, für ihn gekauft und abbezahlt hatten, nur für ihn hatten wir dieses Leben gewählt.
Und dann ging ich schlafen.
Um zwei Uhr nachts hörte ich Alec die Treppe heraufschleichen. Ob er gemerkt hat, dass sein Koffer weg und sein Fenster offen war und dass sein Müll anders im Zimmer herumlag, gehört wohl auch zu den Dingen, die ich nie erfahren werde.
KAPITEL ZEHN
E s war noch dunkel draußen, als ich aufwachte, und an Wiedereinschlafen war nicht zu denken. Wollte ich auch nicht. Ich zog mich an, küsste Elaine auf die Stirn und schlich mich aus dem Haus. Kein Pager, kein Handy – keine Ahnung, wo der Tag mich hinführen würde, ich wusste nur, ich wollte nicht gefunden werden. Ich war überrascht, in wie vielen Häusern am Samstag so früh schon Licht brannte und wie viele Menschen auf der Straße waren – mit dem Hund, zwei unerschrockene Jogger, eine Mutter, die noch im Morgenmantel einen Sportwagen durchs Viertel schob.
Es war halb sieben. Ich fuhr zur Old Lantern und wollte mir einen Kaffee und ein Western-Omelette genehmigen. Ich spürte mich sehr deutlich, ich nahm den Puls in meinen Handgelenken und an meinen Schläfen viel stärker wahr als sonst; wäre ich ein anderer Typ gewesen, wäre ich unter Umständen auf einen Panikanfall zugesteuert. Ich machte tiefe, gleichmäßige Atemzüge und konnte mich so erfolgreich beruhigen. Obwohl ich mir alle Mühe gab, wanderten meine Gedanken zu dem Vormittag vor fünfzehn Jahren, an dem Joe Stern mich bat, ihm zu helfen und seine Tochter nach Mexiko zu schaffen. Damals sollte noch ein halbes Jahr vergehen bis zu ihrem Prozess, und niemand wusste, was die Zukunft bringen würde. Hätten wir es doch bloß geschafft, das Mädchen nach Mexiko zu schleusen! Alles wäre heute anders, meine ganze Geschichte wäre anders, aber es ist schwer, fünfzehn Jahre im Voraus zu wissen, was man sich erhofft.
Hinter der von Teenager-Graffiti zerkratzten Fensterscheibe ging die Sonne auf. Die übernächtigte Kellnerin schenkte mir Kaffee nach, und das Innere des Restaurants nahm vor meinen Augen Gestalt an: Postangestellte, Golfer, die zum städtischen Platz wollten, ein paar müde Cops, die nach dem nächtlichen Streifegehen durch die Innenstadt von Round Hill hier gelandet waren. Die Verbrechensrate in der Gegend war hoch, und ich kannte nicht wenige Frauen aus Manor und aus dem School District, die ihre Lebensmittel ausschließlich bei Hopwood kauften, anstatt zu riskieren, im Zentrum auf dem Parkplatz des Grand Union überfallen zu werden. Unweit des John.-F.-Kennedy-Garden hatte sich vor zwei Monaten eine Vergewaltigung ereignet. Zwei Schüler unserer staatlichen Schule, achtzehn Jahre alt, Freunde – die Einzelheiten lagen zwar im Dunkeln, aber trotzdem: eine Vergewaltigung. Wer so etwas mitbekam und sich Gedanken darüber machte, für den hatten die hiesigen Grundstücke plötzlich an Wert verloren.
Ich schüttete mir Ketchup über meine Kartoffelecken. Über dem Tresen flimmerte stumm der Fernseher. Sport. Dort saß, wenige Schritte vor mir, ich hatte ihn bis jetzt noch nicht bemerkt, Officer Barnes, der nette, ältere Cop, der uns nach der Razzia in der Grundschule vor fünf Jahren einen Gefallen getan und Alec über Nacht in Gewahrsam behalten hatte. Er hatte Alec so großartig zusammengestaucht, wie es nur ein mit allen Wassern gewaschener alter Hase hinbekam, und ihm die ganze Nacht hindurch die Drogengesetze von New Jersey bis zum letzten Paragraphen heruntergebetet. Damals hatte das Eindruck gemacht, und Alec wirkte ziemlich verändert, als wir ihn morgens um sechs abholten. Nie wieder, Leute, schwor er. Es ist mein Ernst. Es tut mir so leid. Nie wieder!
Officer Barnes winkte mir von der Theke zu und lächelte.Er spachtelte einen
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