Die Freundin meines Sohnes
gegen alles gesträubt. Ich könnte auf die Knie fallen und sie anbetteln zu bleiben, und sie würde mich bloß mit ihrem typischen traurigen, ein bisschen herablassenden Blick ansehen und sagen, die Geister rufen sie oder was immer, sie muss gehen. Wie sollte ich sie aufhalten?«
»Du könntest es ihr verbieten.«
Er lachte laut auf. »Pete, man kann einer dreißig Jahre alten Frau nicht verbieten zu tun, was sie will. So gern man das auch täte.«
»Alec sollte ans College«, sagte ich bitter.
»Und Laura hatte einen Job in Aussicht.« Aber Laura warhier nicht die Tragödie. Laura war nicht die Riesentragödie. Vielleicht war sie mal eine gewesen, aber das war lange her.
»Hör zu, ich muss los«, sagte ich. Ich hatte drei Bissen von meinem Huhn gegessen. Stand auf. »Und, was wirst du ihr sagen?«
»Was kann ich denn sagen?« Er zuckte mit den Achseln. »Ich sage ihr, dass ich sie liebe. Iris und ich überlegen uns vielleicht, wann wir sie besuchen. Du und Elaine, ihr könntet mitkommen. Wir könnten alle zusammen in den Louvre gehen. Der nächste gemeinsame Museumsausflug.«
»Ist das dein Ernst?«
»Klar«, sagte er. Unschuldig wie ein Lamm. Ich sah ihn kopfschüttelnd an und stürmte zur Cafeteria hinaus, ins Auto und fuhr zurück in die Praxis, wo ich leider zu früh für meinen nächsten Patienten eintraf und gezwungen war, neun nervenaufreibende Minuten lang aus dem Fenster zu starren, auf den Nägeln kaute und mich mit letzter Kraft zusammennahm, um nicht zum Telefon zu greifen, Iris anzurufen und ihr zu sagen, sie müsse auf der Stelle ein Machtwort sprechen, denn ihr Mann sei eine Memme und bekomme das nicht hin.
Voller Schrecken sah ich dem Freitagabend entgegen. Ich hatte angenommen, Alec würde sich zur Abendbrotzeit zu unserer verabredeten Unterhaltung zu Hause einfinden, zu unserem Gespräch unter Männern. Aber als ich um sechs heimkam, war er nirgends zu finden. Auch nicht um sieben oder um acht und nicht um neun oder halb zehn. »Wo ist er?«
Elaine schüttelte den Kopf. »Hast du es mal auf seinem Handy probiert?«
Ich rief an. Stille.
»Ich dachte, wir hätten ausgemacht, dass wir heute Abendüber Paris sprechen«, sagte ich. »Damit wir ihm unseren Standpunkt erklären.«
»Er kennt unseren Standpunkt.«
Ich wollte nicht die Beherrschung verlieren. »Damit er ihn zur Kenntnis nimmt . Damit er ihn versteht.«
»Er kommt bestimmt noch«, sagte Elaine. Sie war im Wohnzimmer auf dem Laufband gewesen, bis mein Hin- und Hertigern unerträglich geworden war. Sie und ich hatten das Thema die Woche über bravourös totgeschwiegen, und wir fingen auch jetzt nicht davon an. Ich gab mir Mühe, ihre Fernsehsendung mitzuverfolgen, irgendeine Cop-Serie, konnte mich aber nicht auf den schwachsinnigen Plot konzentrieren. Ich horchte dauernd auf Alecs Schritte auf der Treppe, wählte alle zehn Minuten seine Handynummer.
»Wo ist er?«
»Ich vermute, bei Laura. Oder im Laden.«
Ich versuchte es in dem Künstlerbedarf. Er war nicht da.
»Hast du Lauras Nummer?«
»Du könntest Joe anrufen.« Ich konnte Joe nicht anrufen. Ich biss das letzte noch vorhandene Eckchen meines Daumennagels ab und stürmte die Treppe hinauf.
»Wo gehst du hin?« Ich antwortete nicht. Alecs Zimmer war ein Saustall – Coke-Dosen, Künstlerbedarf und, Gott steh mir bei, ein paar aufgerissene Kondomverpackungen –, aber immerhin lag da sein Koffer auf dem Boden, der Samsonite, den wir ihm fürs College gekauft hatten. Ich machte das Ding auf. Säuberlich gepackt, alles reisefertig. Ich dachte, falls er womöglich seinen Pass da drin hat, nehme ich den eben raus. Ich nehme seinen Pass raus und vernichte ihn, dann konnte er nirgendwohin fahren, schon gar nicht nach Paris. Ich ging seine Sachen durch, Schicht um Schicht, die Seitentaschen, die Außentasche mit dem Reißverschluss. Kein Pass.
Kein Pass – und das Gepäck fertig: Er hatte gar nicht vorgehabt, noch einmal mit uns übers College zu sprechen! Er hatte nicht vorgehabt, mit uns über irgendetwas zu sprechen. Ich nahm den Hörer des Telefons ab, das neben seinem Bett stand, und rief bei verschiedenen Fluggesellschaften an – Air France, American, Continental –, aber keine wollte mir Informationen über Fluggäste geben, geschweige denn mir sagen, ob ein Alec Dizinoff und eine Laura Stern in nächster Zukunft, genaues Datum und Uhrzeit unbekannt, Flüge gebucht hatten. Auf Alecs Schreibtisch lag das Hochglanzvorlesungsverzeichnis des Colleges. Hatte er je
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