Die Freundin meines Sohnes
»Sie hat aus einer Ziegenherde eine Firma mit Millionenumsatz aufgebaut.«
»Sie ist eine Irre«, sagte Laura noch entschiedener, und ich dachte: da kenn ich auch eine … »Anschließend war ich mit meinem Cousin Harris einen Monat in Frankreich, erinnert ihr euch an den? Den Sohn von Steve? Er machte ein Praktikum auf einem Weingut und mich gefragt, ob ich mit will.«
»Einem Weingut?«, sagte Elaine. »Wie schön. Das wusste ich nicht.«
»Wir auch nicht«, sagte Iris. »Die Hälfte der Zeit wissen wir nicht, wo sie ist. Irgendwo wird sie schon sein, denken wir, und lässt es sich gutgehen.«
»Mom, wirklich«, sagte Laura und rieb Iris die Schulter, als sei sie ein aufsässiges Kind. »Ich hab im Elsass Trauben geerntet«, sagte sie. » Le vendange . Spätlese. Das gibt es beim Rieslinganbau.« Elaine und ich haben anscheinend verdutzt geguckt. »Ich möchte mehr über traditionelle Lebensmittelherstellung lernen, Wissen zusammentragen, das im Grunde bereits verlorengeht. Weinbau, Käseherstellung. Ich überlege, ob ich als Nächstes einen Brotbackkurs belege.«
»Aha«, sagte Elaine. Iris lächelte süffisant.
»Und, was führt dich nach Hause?«, sagte ich. »Die Brotbackkurse?«
»Ach, wisst ihr«, sagte Laura und machte eine Handbewegung durch die Luft. Sie hatte makellose Hände, die Fingernägel waren frisch manikürt und hellbeige lackiert, und sie trug einen kleinen Ring mit einer Perle am Zeigefinger der rechten Hand. Lauras sehr gepflegte Aufmachung hatte etwas von einer Kostümierung.
»Sie braucht Geld«, sagte Iris kühl.
»Wie bitte?«
»Sie braucht Geld«, sagte Iris noch einmal. »Sie ist nach Hause gekommen, weil sie pleite ist.«
»Besten Dank, Mom.«
»Entschuldigung«, sagte Iris seufzend. »Ich wollte sagen, meine Schwester verkauft die Ziegenfarm an einen österreichischen Molkereibetrieb, und Laura ist jetzt, nach der kurzen Tour durch die Weinanbaugebiete in Ostfrankreich, heimgekommen, um über ihre Perspektiven nachzudenken. Und um zu lernen, wie man Brot backt.«
»Bei meiner Mutter hört sich das immer so an, als ob ich mein Leben verplempern würde, und nicht so, als hätte ich mich in den letzten acht Jahren weitergebildet«, sagte Laura.
»Das habe ich nicht gesagt …«
»Es hört sich auch immer so an, als hätte ich nicht das Recht, zu meiner eigenen Familie zurückzukehren. Als wäre ich irgendwie nicht willkommen.«
Elaine und ich streckten beide gleichzeitig die Hand nach der Babka aus.
»Du hättest vorher anrufen können«, sagte Iris tonlos.
»Meine Mutter«, sagte Laura, »steht wohl darauf, dass ich vorher anrufe.«
Wollten die sich allen Ernstes vor uns streiten? Elaine nahmnoch mehr Kuchen. »Na, wollen mal sehen, was du hier in Round Hill in der Zwischenzeit verpasst hast …«
»Hab ich etwas verpasst?«, fragte Laura und sah meine Frau mit großen Augen an. »Ist das hier in Round Hill denn nicht so, dass man zehn Jahre weg sein kann und nichts verpasst?«
»Vor ein paar Jahren haben sie jemanden aus dem Schulvorstand wegen Kinderpornos verhaftet«, sprudelte Elaine los.
»Aha«, sagte Laura nach einer kurzen Weile. »Das ist doch was.«
Der mürrische Teenager, Daniel Deronda in den Händen. Das Mädchen aus den Nachrichten, in dem großen Flanellhemd. Das kleine Mädchen mit Rosen in den Händchen bei unserer Hochzeit. Der Tag, an dem sie sie in die Gateway-Klinik brachten, noch vor Morgengrauen losfuhren, sich in Joes Volvo davonstahlen wie Diebe. Laura drehte den Perlenring an ihrem Finger und sah erst mich, dann Elaine, dann ihre Mutter mit einem Schmunzeln an. (Geizig waren die Sterns übrigens nicht. Sie hatten für Laura eine lebenslange Rente angelegt.)
»Ich dachte eigentlich«, sagte sie, »es wäre doch nett, meine Geschwister ein bisschen besser kennenzulernen. Es ist schon ewig her, dass wir alle zusammen unter einem Dach gewohnt haben. Und Neal ist vielleicht das letzte Mal über die Winterferien zu Hause, da dachte ich, ich könnte mich ein bisschen mit ihm austauschen, bevor er in die Welt der hochgeschätzten Biotechnologie aufbricht. Und bevor er die Rote Gefahr heiratet.«
»Also«, sagte Elaine, »ich finde das eine sehr schöne Idee.«
Malva, die jamaikanische Haushälterin, die seit achtzehn Jahren für die Sterns arbeitete, kam herein und unterbrachunser Gespräch. Malva war groß, vollbusig und chronisch ungeduldig. An ihrem Hals baumelte ein faustgroßes Kreuz. »Im Wohnzimmer ist das Tonic ausgegangen,
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