Die Freundin meines Sohnes
hätte es die sexuelle Revolution nie gegeben: Meine Befriedigung stärkte ihr weibliches Selbstbewusstsein, und selbst wenn nur einer von uns kam (ich in der Regel), schliefen wir normalerweise beide zufrieden ein.
»Ich liebe dich«, flüsterte sie und küsste meinen sandpapiernen Hals.
»Ich dich auch«, sagte ich und schlief ein. Meine Sachen lagen wie Sandsäcke rings um meinen völlig erschöpften Leib.
KAPITEL FÜNF
W enn man mich ein oder zwei Wochen vorher gefragt hätte, hätte ich gesagt, es sei eher unwahrscheinlich, dass ich an einem ganz annehmbaren Samstag nach Manhattan fahre und zwanzig Dollar für Kunst ausgebe, erst recht (ob hier der Vaterstolz aus mir spricht oder die Unwissenheit, ergründe ich lieber nicht), wo ich bloß rüber in das Atelier über meiner eigenen Garage zu gehen brauche und dort dasselbe Zeug oder besseres sehen kann.
»Zwanzig Dollar«, sagte Iris staunend, als wir uns hinter eine schwedische Touristengruppe in die Schlange einreihten. »Spinne ich, oder ist das wirklich unverschämt?«
»Was machen die bei Touristen aus Ländern, in denen zwanzig Dollar ein ganzer Wochenlohn sind?« Die Rote Gefahr, von Kopf bis Fuß in Tarnkleidung – Militärjacke und enger, kurzer Minirock –, besah sich finster die Lobby.
»Solche Touristen kommen vermutlich gar nicht mal bis New York«, sagte Laura sanft. »Oder falls doch, gehören sie nicht zu denen, die bloß zwanzig Dollar die Woche verdienen.«
Amy schaute Laura finster an, aber die entschwebte bereits zu einer Kunstinstallation unweit der Garderobe. Dreißig Jahre alt, und ihr Vater kam noch immer für ihr Leben auf – tja, das war wohl die Familiendynamik, ging mich ja auch nichts an, aber … Laura blieb stehen, neigte den Kopf und schürzte die Lippen vor einer Leinwand in Grün und Rot voller funkelnder Goldkügelchen. Sie trug eine dunkle Cordhose, ein dunkles langärmeliges T-Shirt, die Haare hatte siezu einem Zopf gebunden – wieder erinnerte sie mich an eine Studentin, kurzsichtig, mit Armut geschlagen, blass, weil sie zu viel Zeit zwischen Bücherregalen verbrachte. Ich beobachtete sie, während sie das Bild mit den Kugeln betrachtete. Was sie wohl sah? Ich hätte mich ja umgedreht und meinen Sohn gefragt, aber der war schon zu Laura hinübergegangen. Offenbar durfte ich ihm die Eintrittskarte ebenfalls bezahlen.
»Ich glaube, die beiden mögen sich«, sagte Iris zu mir, während sie ihre Kreditkarte wieder einsteckte.
Ich zuckte mit den Achseln und sah die lippengepiercte junge Frau hinter der Kasse an. »Zweimal bitte.«
In den ersten Sälen des MoMA – nebenbei, eines Gebäudes, das dazu gedacht war, dass sich der durchschnittliche Hinterwäldler aus New Jersey auch wirklich wie ein durchschnittlicher Hinterwäldler aus New Jersey fühlte : jungfräulich weiße Wände und keine rechten Winkel und Wachleute, die mit Denk-erst-gar-nicht-dran-Miene an den Türen vorbeistrichen – stand die Sorte von Exponaten, über die ich mich lustig gemacht hätte, wären Joe und ich ohne die anderen dort gewesen: eine Gruppe von Bildern, Die vier Jahreszeiten betitelt, die allesamt wie der Fußboden in einem ungepflegten Kindergarten aussahen, ein Ölbild, das, wie sich herausstellte, nur zu einem Teil ein Ölbild war, zum anderen aber die Gestalt einer Krake nachbildete, gefertigt aus – jetzt kommt’s – Elefantendung, ein von der Decke hängendes Kanu, gespickt mit 5000 Pfeilen.
»Was hältst du davon ?«, flüsterte ich Joe zu und wies nach oben zu dem Kanu. Noch taten wir sieben unser Möglichstes, um zusammenzubleiben und bewegten uns als träge Masse von einem rätselhaften Kunstwerk zum nächsten.
»Ich glaub, das ist …«
»Ein Kommentar«, sagte Amy, die uns gehört hatte.
»Zu?«
»Na, das ist doch ein Kanu, oder? Das Transportmittel indigener Völker, von den Eskimos bis zu den Polynesiern.«
»Ja«, stimmte Joe zu.
»Aber es hängt über uns. Und ist mit Pfeilen durchbohrt«, sagte sie. »Wofür stehen die vielen Pfeile denn Ihrer Meinung nach?« Ah, die sokratische Methode, die kannte ich noch aus meinem Medizinstudium.
»Modernität?« Joes Schuss ins Blaue.
»Weiße?«, fragte ich.
»Kolonialismus«, sage Amy triumphierend und stützte die linke Hand auf ihre schmale Hüfte. »Die Zerstörung traditioneller einheimischer Kulturen durch vor allem europäische Mächte, die Reichtümer raubten und Arbeitskräfte entführten, um ihre imperialistischen Ziele zu verfolgen und die Kriegskassen zu
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