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Die Freundin meines Sohnes

Die Freundin meines Sohnes

Titel: Die Freundin meines Sohnes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Grodstein
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weiße Bluse auf.
    »Willst du irgendetwas?«
    »Nein«, sagte sie. »Was sollte ich wollen?«
    »Wirklich? Gar nichts?« (Aber was konnte ich ihr auch schon besorgen? Sie durfte weder essen noch trinken, und wir hatten so viele Taschenbücher und Ausgaben von People in ihre Tasche gepackt, dass es für drei Wochen reichte.) Sie war mit dem Aufknöpfen fertig und lächelte mich schief an.
    »Weißt du, was ich will? Keinen Krebs haben«, sagte sie. »Das will ich.«
    »Das kriegst du, mein Liebling.«
    Sie lächelte matt über mein eilfertiges Versprechen und legte ihre Bluse ordentlich auf dem Bett zusammen. Schlüpfte aus ihrer Hose, löste den Büstenhalter, und obwohl ich wusste, dass das unmöglich war, hätte ich schwören können, sie direkt unter ihrer Haut leuchten zu sehen: die einen Vierteldollar große Masse sich rapide teilender Zellen in den Milchdrüsen direkt unterhalb und ein wenig rechts von ihrer linken Brustwarze.
    »Hier«, sagte ich. »Schauen wir, dass du diesen Kittel anbekommst.« Ich faltete das Papiernachthemd auf und half Elaine beim Hineinschlüpfen. »Du siehst toll aus.«
    »Sei nicht albern.«
    »Nein, wirklich.«
    »Na, morgen sehe ich nicht mehr so toll aus.«
    »Aber natürlich«, sagte ich. Ich band die Kittelbänder amRücken zu und blieb hinter ihr stehen, ich schlang die Arme um sie, vergrub den Kopf in ihrem weichen blonden Haar, küsste sie auf den Nacken.
    »Pete, falls irgend etwas passiert …«
    »Was soll denn passieren …«
    »Sorg bitte dafür, dass Alec mich nicht vergisst, ja?«
    »Elaine, es ist eine Routineoperation.« Wir hatten die ganzen Tage so gut hinter uns gebracht. Ich konnte nicht zulassen, dass sie sich jetzt in Tränen auflöste. Ich hielt das nicht aus. »Du kannst bei der Operation nicht sterben.«
    »Du weißt nicht, was sie finden.«
    »Sie haben Hunderte von Tests gemacht. Sie wissen ganz genau, was sie finden.« Das stimmte nicht ganz – noch das gewöhnlichste Karzinom konnte hässliche Überraschungen bergen –, aber trotzdem: Ich hatte die MRI-Aufnahmen, hatte den Tumor in seiner ganzen dreidimensionalen Pracht betrachtet und war mir mit Rhonda Nighly einig, dass das Ding für den Augenblick wunderbar umgrenzt aussah.
    »Lässt du mich trotzdem eines sagen? Ich weiß, du möchtest es nicht hören, aber du musst es mich trotzdem sagen lassen, okay?«
    Ich schloss die Arme noch fester um sie. »Okay.«
    »Okay«, sagte sie, und für einen Moment war es, als habe sie vergessen, was es war, und die Spannung in dem Raum nahm ab, doch dann sprach sie weiter. »Ich möchte, dass du Alec alles über mich erzählst.«
    »Elaine …«
    »Ich möchte, dass er sich daran erinnert, wer ich bin, an das, was mich von anderen unterscheidet. Was mich besonders gemacht hat. Nicht bloß, dass ich seine Mutter war, er soll auch den Menschen kennen, der ich war.«
    Ich atmete tief aus. »Okay.«
    »Was wirst du ihm sagen?«
    »Was dich besonders macht«, sagte ich. Ich wollte nicht die Vergangenheitsform verwenden.
    »Zum Beispiel?«
    Wollte sie das wirklich durchsprechen? Ich drückte sie fester. »Du bist eine wundervolle Mutter. Du liebst ihn. Du bist liebevoll.«
    »Sei genauer.«
    »Du bist in Squirrel Hill in Pittsburg aufgewachsen.«
    »Was noch?«
    Was noch? »Du weißt, wie Mittelenglisch ausgesprochen wird. Du hast einen großartigen Humor. Du benutzt beim Sonntagskreuzworträtsel Tinte. Du magst keine Rosinen.« Ich stützte das Kinn auf ihr Haupt.
    »Sprich weiter.«
    »Du weißt immer, wo im Haus die Sachen sind, die jemand verlegt hat. Als hättest du einen Radar in dir. Du hast eine schöne Singstimme.«
    »Gut«, sagte Elaine. »Erzähl ihm das alles.«
    »Das weiß er schon.«
    »Aber er soll es nicht vergessen«, sagte sie. »Ich wollte … ich wollte ihm Briefe schreiben – in einem dieser Chaträume war die Rede davon, dass man den eigenen Kindern Briefe schreiben kann, zu jedem wichtigen Ereignis in ihrem Leben, zu einem Schulabschluss, zur Hochzeit, der Geburt eigener Kinder.« Sie sprach mit ruhiger Stimme. Ich hatte die Augen zugekniffen. »Aber ich konnte nicht. Es kam mir so gestelzt vor. Und pessimistisch. Eigentlich bin ich mir fast immer sicher, dass ich es schaffe …«
    »Elaine, natürlich …«
    »Pete, bitte«, sagte sie. Sie fiel mir so selten ins Wort. Ich ließ die Augen zu. »Aber man kann nie wissen. Und Operationen sind manchmal unvorhersehbar. Wir wissen nicht ganz genau, was passieren wird. Du musst mir versprechen,

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