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Die Freundin meines Sohnes

Die Freundin meines Sohnes

Titel: Die Freundin meines Sohnes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Grodstein
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herum – in einem fensterlosen Wartezimmer voller Kaffeebecher und schrecklicher Zeitschriften und mit einem Fernseher, der auf allen Kanälen nur nervige Soaps zeigte. Alec las halbwegs überzeugend zum Schein in einem drei Monate alten U.S. News and World Report , aber ich konnte nicht so tun, als ob, und sprang immer wieder auf, als wären meine Nerven zum Zerreißen gespannt, und das waren sie auch. Die Einzelheiten des Eingriffs waren mir ja bekannt. Ich hatte sie mit Rhonda mehrmals durchgesprochen, war ein-, zweimal zu ungewöhnlichen Zeiten imKrankenhaus durch die Onkologie gelaufen, wenn sie im Dienst war, hatte sie abgepasst und mich nach Elaines Bloom-Richardson-Wert und den Lymphknoten erkundigt. Einmal habe ich in der Cafeteria sogar mein Tablett neben das von Charlie Joffe auf den Tisch gestellt – Charlie Joffe, den wir abgelehnt hatten und der so nett war, kein Wort über meine Entscheidung zu verlieren, Elaine ans Columbia zu überweisen, sondern sogar seine Mittagspause überzog und für mich kleine Diagramme auf Servietten zeichnete. Elaine würde wieder ganz gesund werden. Wenn sie die Brust nach der Mastektomie nicht gleich wieder aufbauen konnten, würden sie das einfach auf einen anderen Tag verschieben.
    Aber noch während ich mir das alles – und Tausende andere ermutigende Dinge – in Erinnerung rief, auch wenn ich mich mit Wörtern wie Tamoxifen, Herceptin, Femara zu hypnotisieren versuchte, war ich wieder aufgesprungen, stand so dicht neben dem OP-Saal, wie es erlaubt war.
    »Möchtest du einen Kaffee, Dad?«, fragte Alec. Ich hatte gar nicht gehört, dass er mir durch die Halle gefolgt war. »Ich wollte runtergehen und die Cafeteria suchen.«
    Ich schüttelte den Kopf. Seine Mutter und ich – wir kannten uns, seit wir neunzehn waren. Wir waren zusammen aufgewachsen. Ich hatte mich wirklich bemüht, ihr das Beste zu geben. Natürlich hatte es schwierige Zeiten gegeben – die Unfruchtbarkeit und die damit verbundene neurotische Störung, der Aufbau meiner Praxis, die Geldsorgen, meine gelegentliche Unaufmerksamkeit, Elaines eigene Ziele und die schlichte Tatsache, dass es nicht leicht ist, alle Tage mit einem anderen Menschen zusammen zu sein und ihn immer zu lieben. Die Liebe, heißt es in einem Song, ist eine Parabel. Und gerade jetzt befanden wir uns am Scheitelpunkt der Parabel. Das natürlich aber, weil meine Frau die absteigende Kurve womöglich nicht mehr erlebte.
    »Ist das in Ordnung, wenn ich jetzt gehe?«, fragte Alec. Ich antwortete nicht und hörte ihn kurz darauf durch die grün gekachelte Halle davongehen. Aus der anderen Richtung kamen entschlossenen Schrittes zwei Männer. Ich beneidete sie um ihre Lässigkeit, um ihren unbeschränkten Zutritt zu allen Räumen dieses pompösen, grässlichen Krankenhauses. Je näher sie kamen, desto mehr sahen sie aus wie Ärzte der alten Schule, Fernseh-Ärzte mit ergrauenden Schläfen und wehenden weißen Kitteln, das Stethoskop um den Hals und blitzblanke Schuhe, mochte sich der Schmutz der 168. Straße noch so über die Flure verteilen. Sie waren Ärzte, wie ich mir immer vorgestellt hatte, eines Tages auch einer zu werden, auch wenn ich nicht ganz so eingebildet war. Wahrscheinlich hatten sie Zweitwohnungen in der Stadt, mindestens einer der beiden vögelte regelmäßig seine Krankenschwester, und alle beiden spielten sie vermutlich Golf.
    Und dann erkannte ich, dass es sich bei dem Linken der beiden, dem etwas Größeren mit der gebogenen Patriziernase und dem schweren Goldring, um meinen ehemaligen Lieblingsprofessor am Mount Sinai handelte: Dr. John Falls. Falls war ein legendärer Neurologe, sein Spezialgebiet waren Paralysen, Aphasien, Dysphasien. Er hatte schon in jungen Jahren so viele Auszeichnungen und Preise bekommen, dass er eigentlich, dachte man, vollkommen ausgebrannt war, doch statt dessen hatte er einen glänzenden Artikel nach dem anderen veröffentlicht und mit zweiunddreißig eine Stelle an der Fakultät des Mount Sinai erhalten. In seinen Collegejahren und danach war er olympischer Stabhochspringer gewesen und hatte uns während der Visiten mit Geschichten über Mexiko 1968 unterhalten. Was zum Teufel machte der hier?
    Mit demselben Elan, den ich von früher an ihm kannte, sprach Falls mit seinem Kollegen. Vielleicht ging es um eine besonders wichtige Konsultation, eine große Konferenz.Vielleicht war er in einer Angelegenheit für die Stadt oder die Polizeibehörde tätig, wovon ein paar Jahre später auch

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