Die Freundin meines Sohnes
Molekularbiologie für Fortgeschrittene, Astronomie für Dichter. Ich genoss das sehr: Wir zwei in meinem Arbeitszimmer, über das dicke, glänzende Vorlesungsverzeichnis gebeugt. Mich erfüllte das zu seltene Gefühl, dass mein Sohn und ich gemeinsam eine Aufgabe in Angriff nahmen und dass er begriff, worin seine Verantwortung dabei bestand. Alec wählte vier Kurse: Töpferei I, Ateliermalerei, Amerikanische Literatur, Anthropologie. Laura erwähnten wir kein einziges Mal.
»Dr. Dizinoff?«, fragte Roseanne. »Haben Sie einen Augenblick? Ich hab keinen Termin, aber Ihre Sprechstundenhilfe hat gesagt …«
Ich war überrascht. Normalerweise nahm Mina Patienten,die keinen Termin hatten, nicht an, schon gar nicht am späten Freitagnachmittag. Ich war jedoch froh, dass sie Roseanne hereingelassen hatte. Der Pferdeschwanz des Mädchens hatte sich gelockert, und sie war hochrot. Ich wusste, sie hatte nie einen Psychiater aufgesucht. Ob ihr Vater ihr das ausgeredet hatte?
»Kommen Sie rein, Roseanne, setzen Sie sich. Was kann ich für Sie tun? Der Jeep macht sich gut, falls das ein geschäftlicher Besuch ist.«
Sie nestelte an der Perlenkette um ihren Hals und lächelte matt. »Das ist gut. Er ist eines unserer beliebtesten Modelle.«
»Sie sind aber nicht hier, um über den Wagen zu sprechen, oder?«
»Eigentlich nicht«, sagte sie und setzte sich. »Ich weiß nicht«, murmelte sie. »Es ist mir irgendwie peinlich.« Ich musste an das taffe, tätowierte Mädchen denken, das vor nicht allzu langer Zeit in meine Praxis gekommen war, und überlegte wieder, warum sie so viel Kummer hatte. Roseanne hatte mir damals, vor Monaten, ein paar zusammenhangslose Einzelheiten berichtet, der Freund, der sie für einen Mann verlassen hatte, der Buchladen, den sie zusammen in San Francisco hatten aufmachen wollen. Sie schien so tapfer mit allem. Sie rührte mich.
»Erzählen Sie.«
»Es ist nur, ich weiß nicht, meine Stimmung kippt immer wieder in diese seltsame Richtung«, sagte sie. »Manchmal bin ich wirklich grundlos zornig, und manchmal möchte ich einfach nur weinen. Gestern hab ich einen Escalade verkauft – wissen Sie, wieviel Provision wir für den Verkauf bekommen? Aber mein Bruder hat mich angeschrien, hat gesagt, ich hätte den Kunden an ihn verweisen müssen, die Escalades verkaufe er, da hab ich mich im Bad eingeschlossen und geweint.«
»Das ist nicht nett.«
»Dabei hat mein Dad mich dazu gebracht, dort zu arbeiten, um mich aufzumuntern, und eigentlich muntert es mich auch auf. Ich mache das gern! Ich kann es selber gar nicht glauben, ehrlich, weil ich dachte, es würde mir in tausend Jahren nicht gefallen, in dem Verkaufsraum zu stehen. Aber es gefällt mir. Aber dann bin ich manchmal … ich bekomme Magenschmerzen und muss mich irgendwo hinlegen. Ich ertrag’s nicht.«
»Roseanne, wie alt sind Sie?«
»Ich bin vorigen Monat dreiundzwanzig geworden.«
Dreiundzwanzig. Wie schwierig es geworden war, dieses Alter zu bewältigen. Es war erst dreißig Jahre her, da brauchte man bloß seine Ausbildung abzuschließen, seine Collegeliebe zu heiraten, sich einen Job zu suchen und bei dem zu bleiben. Und jetzt brachen ringsherum diese wunderbaren jungen Menschen zusammen.
»Ist sonst noch etwas, das Ihnen zu schaffen macht? Körperlich? Seelisch?«
»Eigentlich nicht«, sagte sie. »Am liebsten würde ich nur Doritos essen, sonst nichts. Manchmal Sushi. Meine Periode ist ein paarmal mit Verspätung gekommen, war ein bisschen schwach. Ich weiß, wie sich das anhört, aber ich bin nicht schwanger.«
»Sind Sie sicher?«
Sie verdrehte die Augen. »Es sei denn, es wäre eine unbefleckte Empfängnis gewesen.«
»Vielleicht sollte ich Ihnen einen Schwangerschaftstest geben, bloß zur Sicherheit.«
»Dr. Dizinoff, ich verspreche Ihnen …«
Es war unverantwortlich von mir, aber ich vertraute ihr. »Okay«, sagte ich. »Was sonst noch?«
»Ich weiß nicht. Für sich genommen ist jedes einzelne keine große Sache, ich bin nur gar nicht mehr ich selbst, und ich weiß nicht, was ich dagegen machen soll. Es kommt mirso vor, als möchte mein Körper gegen mich rebellieren und wartet bloß auf den geeigneten Augenblick.«
»Wie lange beobachten Sie diese Symptome schon, Roseanne?«
»Das kommt und geht«, sagte sie. »Seit vielleicht anderthalb Jahren. Seit ich das erste Mal bei Ihnen war vielleicht.«
»Haben Sie das mit der psychiatrischen Behandlung in Angriff genommen?«
»Wenn sich das alles in meinem Kopf
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