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Die Freundin meines Sohnes

Die Freundin meines Sohnes

Titel: Die Freundin meines Sohnes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Grodstein
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Nagellack, direkt oberhalb des Flecks auf den Teil des Unterarms, auf dem jede Berührung kribbelte. Warum fasste sie mich an?
    »Es hat nicht so wehgetan«, sagte ich. Ich wollte aufstehen und die Sachen wegräumen, aber ihr Finger war wie festgeschweißt.
    »Es sieht aber aus, als ob es wehgetan hätte.«
    Ich saß da, und ihr Finger fuhr über meinen Unterarm. Wie ihre Mutter hatte sie Sommersprossen am Hals. Ich musste an die Geräusche oben in dem Zimmer denken, an das Gekicher und Gewisper, an die Waschbären hinter der Wand. »Nein«, sagte ich. »Hat es nicht.« Ihr Haar waren dick und rot wie das ihrer Mutter früher, bevor es zu ergrauen begonnen hatte. Wann würde Laura die ersten grauen Haare bekommen? Was würde mein Sohn dann von ihr halten? Würde er sie weiter so reizvoll finden oder gar noch reizvoller mit den Silberfäden im Haar? Oder würde sie ihm mit einem Mal plötzlich alt vorkommen?
    »Sie sehen Alec sehr ähnlich«, sagte sie. »Ich war überrascht, als ich ihn wiedergesehen habe, wie ähnlich er Ihnen geworden ist.«
    »Er ist mein Sohn«, erwiderte ich mürrisch. »Wem sollte er sonst ähnlich sehen?«
    »Ist Elaine zu Hause?«
    »Sie ist oben.«
    »Verstehe.« Was genau verstand sie? Warum lag ihr Finger immer noch auf meinem Arm? Iris war früher genauso gewesen, flirtete, fasste andere dauernd an. Sie legte die Arme um mich und küsste mich auf die Wange, wenn wir uns an der Pitt zufällig auf dem Hof trafen. Ich war achtzehn, neunzehn. Außer meiner Mutter hatte mich bis dahin keine Frau so beiläufig geküsst.
    »Ich sollte mal die Lebensmittel wegräumen«, sagte ich, rührte mich aber nicht von der Stelle.
    »Ich helfe Ihnen«, sagte sie, rührte sich aber genauso wenig. Und so blieben wir sitzen, sie mit dem Finger auf meinem Arm, ich mit meinen wirren Gedanken und Erinnerungen, mit dem kribbelnden Unterarm, sie mit dem roten Haar, das ihr wellig über die Schultern fiel.
    Ganz sacht fuhr sie mit dem Finger hin und her, zeichnete eine Ader nach.
    »Laura?«
    »Sie mögen mich nicht besonders, stimmt’s, Dr. Pete?«
    Ich sagte nichts. Sie strich weiter über die Ader an meinem Arm. Schließlich rief, wer weiß wie viel später, Elaine von oben runter und fragte, ob ich beim Chinesen anrufen und das Essen bestellen wollte oder ob sie es tun sollte.
    »Ich sollte wohl gehen«, sagte Laura.
    »Das solltest du.« Sie nahm die Hand weg, und mein Arm erstarrte für einen Moment.
    »Bei Alec wird es heute Abend spät.«
    »Danke fürs Ausrichten.«
    »Ich bin wirklich nicht so schlimm, Dr. Pete«, sagte sie. »Sie sollten mir eine Chance geben.« Ich erwiderte darauf nichts und wartete auch nicht, bis sie gegangen war, sondern begann, die Lebensmittel wegzuräumen, die eingelegten Radieschen, die schottischen Butterkekse, die feinen französischen roten Bete. Als Elaine die Treppe herunterkam, um das Essen zu bestellen, fing der blaue Fleck an meinem Unterarm zu pochen an.
     
    Der Sommer ging zu Ende. Im Krankenhaus wurde es ruhiger, der Strom der Patienten nahm langsam ab. Als Roseanne Craig als letzte Patientin an einem Freitagnachmittag hereinkam, war die Praxis vollkommen leer. Janene Rothman war mit Bill und den Kindern in Nantucket, Vince Dirks war längst weg – er hatte seine Sprechstunde um drei beendet –,und als es auf halb sechs zuging, kam ich mir vor wie ein Sklave, an einem wunderschönen Nachmittag eingesperrt. Außerdem hatte Elaine Geburtstag, wir wollten heute Abend zusammen mit Alec ein Familienessen machen, und ich musste ihr noch ein Geschenk kaufen. Ich sollte Thunfisch grillen.
    Heute Abend sah ich meinen Sohn zum ersten Mal seit dem vergangenen Sonntag, als ich ihn und Laura gehört hatte. Es war nicht schwer gewesen, Alec aus dem Weg zu gehen, er hatte seine Stundenzahl beim Künstlerbedarf verdoppelt, weil er für seine Bücher und sein Material selbst aufkommen wollte, und kam abends meist sowieso nicht nach Hause, sondern »schlug in der Stadt auf«, sein Lieblingsausdruck dafür, dass er bei Laura im East Village übernachtete. Daran wollte ich schlicht nicht denken, und das gelang mir auch fast immer, wenn ich mich auf andere Dinge konzentrierte. In drei Wochen fing er wieder mit dem College an. Als das Vorlesungsverzeichnis der New School mit der Post kam, nötigte ich Alec, sich mit mir hinzusetzen und es Seite für Seite durchzugehen. Wir sahen uns alles genau an: Geschichte Russlands nach dem Kalten Krieg, Italienische Renaissancekunst,

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