Die Freundin meines Sohnes
abspielt, warum hab ich dann dauernd Magenschmerzen?«
»Eine Depression beschränkt sich nicht notwendigerweise auf den Kopf. Das Problem fängt im Kopf an, und zwar damit, dass Sie nicht genug Serotonin bilden. Das ist ein Stoff, der wichtig für den Gefühlshaushalt ist. Ein Serotoninmangel kann eine ganze Palette von Wirkungen auslösen, unter anderem bei manchen Menschen zu einem nervösen Magen oder seltsamen Essensgelüsten führen, zusätzlich zu Traurigkeit oder Stimmungsschwankungen. Deswegen wüsste ich gern, ob Sie mal einen Psychiater aufgesucht haben. Ein solcher Arzt oder eine Ärztin könnte die richtige Diagnose stellen und wäre besser gerüstet, als ich es bin, Ihnen das richtige Medikament zu geben.«
»Aber ich glaub einfach nicht, dass ich eine Depression habe.«
»Im Bad weinen, Roseanne?« sagte ich sanft.
Sie seufzte. »Ich weiß nicht, ich glaub, ich hab mich einfach nicht als so jemand gesehen. Depressiv. In Kalifornien an der Uni ist jeder zweite Idiot zu einem Psychiater gerannt. Das war wie eine Auszeichnung. Alle haben sie mit ihrem Prozac oder ihrem Lithium oder ihrem Ritalin geprahlt. Was für ein Mist, dachte ich immer.«
»Es ist eine Krankheit, Roseanne. Wenn ich Ihnen sagen würde, ich vermute, Sie haben Diabetes, würden Sie mir dannantworten, Sie finden Insulin Mist?« Das war zwar ein Klischee, aber in der Regel haute es hin.
Sie seufzte, und für eine kurze Weile war es still. Ich wartete, bis sie erneut das Wort ergriff.
»Was sagten Sie, wie heißt der Arzt, den Sie gut finden?«
»Owen Kennedy praktiziert in der Psychiatrie am Round Hill. Das ist gleich die Straße runter. Er hat sich auf junge Erwachsene spezialisiert, und Sie werden ihn mögen. Er ist ein unglaublich netter Kerl.«
»Und wenn ich vielleicht doch lieber mit einer Frau sprechen möchte?« Das war gut, denn es bedeutete, dass sie über eine Therapie nachdachte, sich vorstellen konnte, eine zu machen.
»Es sind auch zwei Frauen in der Praxis«, sagte ich. »April Frank kenne ich besser. Eine großartige Frau – ich glaube, sie stammt selbst aus Kalifornien.«
Roseanne gestattete sich ein leichtes Nicken.
»Ich ruf am Montag in der Praxis an und schau mal, ob ich Ihnen einen Termin machen kann.«
»Danke, Dr. Dizinoff«, sagte sie. »Das wäre sehr nett.« Sie richtete ihre Perlenkette, so dass der Verschluss jetzt wieder hinten am Hals hing. »Ich will bei dem Thema Psychiatrie gar nicht so ablehnend rüberkommen …«
»Sie brauchen das nicht zu erklären.«
»Nein, wirklich, ich möchte aber, wenn Sie noch einen Augenblick haben …«
»Natürlich.«
Sie holte Luft, ließ sie mit einem rauhen kurzen Bellen ausströmen. »Als mein Freund … unter uns gesagt, er war mein Verlobter , wir wollten heiraten. Er hatte mir einen Antrag gemacht. Ich hatte noch nicht den Mut, das meinem Dad zu sagen … ich glaube, mein Dad hat immer gerochen, was mit Frogger wirklich los war. Mit Chris, das war sein richtigerName. Wir haben uns deswegen gestritten. Er fand, Chris sei nicht der richtige Mann für mich …«
»Aha.« Ich war also nicht der einzige Vater in Round Hill, der etwas gegen die Liebesprojekte seines Kindes einzuwenden hatte – trotz Laissez-faire und liberaler Zeiten, in denen wir lebten. Mir schwoll die Brust vor Solidarität mit dem polternden Arnie Craig.
»Es war natürlich ein Problem, dass mein Vater ihn nicht mochte. Mein Vater und ich standen uns immer sehr nahe, und …«
»Ich kann es mir vorstellen.«
»Jedenfalls, wir wollten heiraten. Chris hatte mir heimlich einen Antrag gemacht, über Weihnachten, kleiner Rubinring, ich hab ihn noch. Und dann kommt er mit dieser Affäre. Er hat eine Affäre. Mit einem Mann! Und anstatt vernünftig zu sein, sage ich zu ihm … ich meine, anstatt ihn einfach in die Wüste zu schicken, sage ich zu ihm: Keine Sorge, das ist bloß eine Phase, wir machen eine Paartherapie und stehen das durch.«
»Eine Paartherapie«, sagte ich.
»Können Sie sich das vorstellen? So als könnte ich wegtherapieren lassen, dass er schwul ist. Aber ich mache das, gehe mit ihm zum Studentenwerk, da werden die verschiedensten Therapien angeboten, und wir arbeiten uns ein ganzes Jahr lang an der Frage ab, ob Frogger schwul ist oder nicht. Er soll aufrichtig darüber nachdenken. Und ständig erzählt er dem Therapeuten, dass er mich liebt, dass er mit mir zusammensein will, es wäre bloß der eine Monat gewesen, als es passiert ist, es käme nicht wieder vor. Und
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