Die Friesenrose
Operationen gegen die Festung eingestellt werden. Zu diesem Zweck haben sie den alten General Graf Limburg-Strysum nach Appingadam gesandt, wo ein Kriegsrat abgehalten werden soll.
Viele wünschen sich den Frieden und möchten die Franzosen am liebsten einfach verrotten lassen. Aber es gibt auch Gegenstimmen, die meinen, die Festung müsse mit allen Mitteln zurückerobert werden, damit wir endlich vollständig von den Franzmännern befreit sind und die ostfriesische Schifffahrtauf der Ems bis an die Nordsee wieder sicher ist. Bei einem erfolgreichen Angriff könnte zudem das neu einzurichtende ostfriesische Regiment sofort mit den besten französischen Waffen versehen werden.“
Cirk schloss für einen Moment die Augen. „Ich habe das Kämpfen so satt“, brach es aus ihm heraus. „Seit Wochen halten uns die Franzosen doch nur zum Narren. Sie rotten sich zusammen, ziehen mordend und plündernd durch die Dörfer und verschanzen sich danach wieder in ihrem Loch. Mag Gott geben, dass der Kriegsrat die richtige Entscheidung trifft, damit nicht noch mehr tapfere Männer sinnlos geopfert werden. Glauben Sie, Graf Limburg-Strysum wird den Kriegsrat überzeugen können?“ Cirk blickte dem Arzt fragend in die Augen.
„Ja!“, meinte dieser zuversichtlich. „Selbst unser Bataillonskommandeur Friccius ist nach Appingadam bestellt worden, und das kann nur bedeuten, dass ihm sein Auftrag entzogen werden soll. Limburg-Strysum und auch der Oberst der Groninger National-Garde Busch wollen ein Ende der Belagerung erwirken. Diese beiden Herren sind nicht zu unterschätzen und werden unserem Kommandeur schon sagen, wann Schluss ist.“ Er wandte sich nun wieder Thomas zu. „Aber für diesen jungen Engländer ist die Belagerung so oder so zu Ende.“
Cirk ließ sich erschöpft neben dem Feldbett auf einen Stuhl fallen. Was sollte er jetzt tun? Thomas einfach seinem Schicksal zu überlassen und nach Emden aufzubrechen, kam – selbst wenn die Belagerung aufgehoben werden würde – nicht infrage. Sorgenvoll schüttelte Cirk den Kopf. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Rückkehr zu verschieben. Es war, als ob sich das Schicksal gegen Inken und ihn verschworen hätte.
Und während der Schlaf ihn übermannte, sah er in einer schnellen Abfolge von Bildern, wie Inken über einem ausgetrockneten Fluss flehend die Hände nach ihm ausstreckte. Doch kaum wollte er den ersten Schritt tun, um ihr entgegenzueilen, ergoss sich ein Strom aus Blut in das Flussbett, und er konnte Inken nicht mehr erreichen.
Das Geständnis
Schon am frühen Morgen, als die aufgehende Sonne ihre ersten Strahlen durch die versprengten Wolken schickte, kam die Nachricht, dass der Kriegsrat beschlossen hatte, jedes weitere Vorgehen gegen die Franzosen einzustellen.
Die Engländer marschierten noch am gleichen Tag ab. Und auch die Ostfriesen kehrten nach und nach in ihre Heimatdörfer zurück. Allein Cirk war nicht unter ihnen. Er hatte sich zunächst für wenige Stunden auf sein eigenes Lager zurückgezogen. Jetzt saß er wieder am Krankenbett seines Freundes. Thomas war nicht transportfähig und einer der wenigen Kranken, die im Lazarett noch versorgt wurden. Das Krankenlager war spartanisch eingerichtet und bestand aus nicht mehr als zwei Räumen, in denen mehrere Feldbetten aufgestellt waren. Doch Thomas hatte einen der beiden Räume für sich alleine.
Er schlief unruhig. Immer wieder wurde er von Albträumen heimgesucht, in denen er von wilden Dämonen verfolgt wurde. Cirk gelang es nicht, aus den gestammelten Worten seines Freundes klug zu werden.
„Ich werde es nicht zulassen, du elende Kreatur!“, schrie Thomas und ballte seine Hände zu Fäusten. Cirk ergriff die Hand seines Freundes, um ihn zu beruhigen, worauf dieseraus seinen Fieberträumen erwachte und für einen Augenblick verwirrt um sich blickte. Als er Cirk erkannte, wurde der Engländer ruhiger.
„Du wirst es verhindern, nicht wahr? Du wirst nicht zulassen, dass er mir alles nimmt.“
Verständnislos runzelte Cirk die Stirn. „Thomas, du hast Albträume. Du bist hier in Sicherheit. Ich werde bei dir bleiben und warten, bis du wieder reisefähig bist. Niemand wird dir etwas zuleide tun.“
Cirk kam es vor, als würde er ein Kind beruhigen. Die Hand, mit der Thomas die seine umklammerte, war heiß und zitterte. Von dem hochgewachsenen, stolzen Engländer, dem Draufgänger, den alle Frauen liebten, war nichts mehr übrig geblieben. Thomas’ Haar war stumpf, das Gesicht fahl,
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