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Die Friesenrose

Die Friesenrose

Titel: Die Friesenrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Oltmanns
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durch eine großzügige Halle in einen Raum, in dem er nun auf das Erscheinen des Emder Kaufmanns wartete. Die Möbel waren alt und wertvoll. Bücher in vergoldeten Einbänden reihten sich auf den Regalen, und von den Wänden blickten in kostbaren Rahmen die Ahnen des Reemt Neehus auf ihn herab. Ehrwürdige Damen und Herren in der jeweiligen Kleidung der verschiedenen Epochen. Doch trotz des offensichtlichen Reichtums, mit dem das Haus er- und eingerichtet worden war, wirkte es kalt und verstaubt.
    „Es ist kein Leben spürbar“, ging es Cirk durch den Sinn. Und genau so kalt wie das Haus selbst schien auch sein Eigentümer zu sein, der jetzt durch die Tür trat.
    „Cirk Hoogestraat.“ Gedehnt kam der Name aus dem Mund des Kaufmanns.
    Reemt Neehus war klein und gedrungen von Gestalt. Er trug einen dunklen, geknöpften Gehrock, ein grün-schwarz gestreiftes Gilet und dazu ein weißes Hemd mit spitzen Kragenecken und Spitzenvolant. Eine weiße, unter dem Kinn geknotete Halsbinde vervollständigte sein elegantes Auftreten. Doch selbst die teure Kleidung konnte das gewöhnliche Gesicht des Kaufmanns nicht überdecken.
    Die kleinen Augen in den fleischigen Höhlen blickten misstrauisch. „Was verschafft mir die Ehre des Zusammentreffens mit dem großen Schmugglerkönig?“ Sein Tonfall war spöttisch, und er reichte Cirk zur Begrüßung nicht die Hand, sondern ließ sich ächzend in einen Stuhl fallen.
    „Ich komme, weiß Gott, nicht freiwillig zu Ihnen“, erwiderte Cirk seine Unhöflichkeit, „sondern im Auftrag meines Freundes, Thomas Devon.“
    „Ein schöner Freund, den Sie da haben“, stichelte der Kaufmann. „Ein Spieler und Betrüger, wussten Sie das?“
    „Ein liebenswerter Mensch, der von seinem Stiefvater hereingelegt wurde“, konterte Cirk.
    „Und nun wollen Sie ihn freikaufen, so wie seine liebe Frau Mama es schon einmal getan hat“, mutmaßte Reemt Neehus und beugte sich vor.
    Cirk packte die Gelegenheit beim Schopf und versuchte sein Glück. „So ist es! Thomas ist verletzt, schwer verletzt sogar, und kann Ihren Auftrag nicht ausführen. Sie müssen sich einen anderen Kapitän suchen. Ich werde für die Kosten aufkommen.“
    „Für die Kosten aufkommen, so, so“, ließ sich Reemt Neehus sichtbar wütend vernehmen. „Thomas’ Schuld mir gegenüber lässt sich aber nicht mit Geld abgleichen, und das weißer auch. Wo steckt der Kerl überhaupt? Ich warte schon seit Tagen sehnsüchtig auf das Erscheinen meines werten Stiefsohnes. Hat er sich etwa verkrochen, um seiner Pflicht zu entgehen? Diese Verletzung ist doch nur vorgeschoben, eine Finte. Der Feigling möchte seiner Verantwortung entfliehen, so wie er immer vor ihr geflohen ist. Doch diesmal gibt es keine Mutter mehr, die ihre Hand schützend über ihn hält. Thomas soll sich gefälligst hier blicken lassen, und zwar sofort. Er ist ein Taugenichts, ein Müßiggänger, genau wie der Rest der Familie. Die Schwester eine Hure, die sich den Männern reihenweise an den Hals wirft, die Großeltern verarmter Adel, der glaubt, alle Welt müsse sich rühren, nur sie nicht. Dieses großkotzige Gehabe, dieses Herabschauen auf mich, als ob ich Abschaum wäre. Aber ich habe es ihnen gezeigt. Ich habe sie in der Hand, sie alle. Für Thomas’ Mutter war ihr Sohn ein Heiliger, und ich war ein grobschlächtiger Bauer. Aber nun liegt er in der Gosse und kriecht vor mir auf dem Bauch.“
    Seine lauthals vorgetragenen Auslassungen hatten das energische Klopfen an der Tür fast übertönt. Doch als der Kaufmann nun aus dem Zimmer gerufen wurde, blieb Cirk eine kleine Weile sich selbst überlassen und dachte an Thomas. Mit jedem Tag, der vergangen war, hatte sich dessen gesundheitlicher Zustand stabilisiert. Die Operation seines Beines hatte Cirk aber nicht mehr abwarten können, wollte er vor dem Auslaufen seines Schiffes in Emden sein. Lange hatten sie vor seiner Abreise noch miteinander gesprochen, wobei Thomas wiederholt den Wunsch geäußert hatte, Cirk möge seine Bitte als eine seinen Fieberträumen entsprungene Verrücktheit sehen und ihr deshalb nicht nachkommen. Doch Cirk hatte nicht mit sich reden lassen. Er wusste, dass Thomas die Wahrheit gesprochen hatte! Und er schuldete Thomasetwas! Deshalb konnte er, obwohl ihm jegliche Abhängigkeit verhasst war, nicht umhin, die Schuld des Freundes, seine ausstehende Rechnung, zu begleichen.
    „Du musst mich hassen und verachten“, hörte er Thomas verzweifelt sagen. Aber Cirk war keineswegs von der

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