Die Friesenrose
Haar – ganz nach der neuesten Mode – ins Gesicht gekämmt. Trotz des schwülen Wetters wirkte er kühl und gelassen.
Mit einer Handbewegung bat er Cirk in einen abgeschiedenen Raum, in dem sie sich an einen großen Tisch setzten. Der Kapitän trug dem chinesischen Personal auf, ihnen Tee zu bringen.
„Wie haben Sie die Nacht verbracht, mein Freund?“ Kapitän Jacobs klopfte Cirk auf die Schulter.
„Mein Schlaf endete in einem Albtraum, aus dem michunser chinesischer Koch, der mir das Frühstück bringen wollte, gerettet hat. Nach diesem Traum freut es mich umso mehr, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.“
Zufrieden stöhnend streckte Cirk seine langen Beine unter dem Tisch aus. Sein Blick folgte dem Chinesen, der nach einer Verbeugung zur Tür eilte.
„Wie höflich sie sind“, überlegte er laut, „und alle tragen sie Zöpfe.“
„Nein, nicht alle“, widersprach der Kapitän.
„Nicht? Ich habe noch keinen Einzigen ohne gesehen.“ Cirk blickte sein Gegenüber fragend an.
„Hier wird Ihnen das auch kaum gelingen. Es ist ja so, dass der Zopf mit der ausrasierten Stirn den Chinesen nach ihrer Unterwerfung von den Mandschu-Herrschern aufgezwungen wurde. 1645 wurde unter Androhung der Todesstrafe befohlen, dass jeder Chinese einen Zopf tragen müsse. Diese Tracht, diese Mode, hatten die Herrscher ihren treuesten Dienern abgeschaut – den Pferden. Damit unterschieden sich nunmehr die Chinesen von der zopflosen mandschurischen Führungsschicht.“
Cirk runzelte die Stirn. „Die Männer scheinen den Zopf aber nicht mit Widerwillen zu tragen.“
Kapitän Jacobs nickte und lächelte. „Ja, sie haben das Zeichen der Unterwerfung zu ihrem Stolz gemacht. Und das zeichnet sie aus. Im Laufe der Jahrzehnte wurde es zur Selbstverständlichkeit, dass Männer Zöpfe tragen. Die tägliche Rasur verschafft ihnen eine kleine Pause in ihrem arbeitsreichen Tag, die sie genießen. Haben Sie schon einmal einem chinesischen Barbier bei der Arbeit zugesehen?“
Cirk schüttelte den Kopf.
„Sie haben ihre Friseurstühle am Hafen, am Markt oder wo auch immer sonst Menschen sich aufhalten. Kulis, Schiffer,Bauern – alle nutzen die tägliche Rasur. Zumindest jeder, der Arbeit hat und den Friseur bezahlen kann. Das Haar wird rund um den Zopf herum geschoren. Der Zopf sitzt in der Mitte des Schädels. Ein gepflegter Zopf endet mit einer schwarzen Seidenquaste. Die Chinesen scheinen ihre Zöpfe zu lieben. Daran kann man sehen, wie sich im Laufe der Zeit Dinge und Sinnbilder verändern können und eine gegenteilige Bedeutung erlangen.“
Der Tee wurde zusammen mit einem süßlichen, knusprigen Gebäck gebracht, und Kapitän Jacobs schenkte ein. Für einen Augenblick herrschte Stille zwischen den beiden Männern, die das Miteinander und den Tee, der ihre Sinne belebte, genossen.
Hier in China wurde so selbstverständlich und so häufig Tee getrunken, als gäbe es kein anderes Getränk. Sein Duft schwebte beständig durch die Häuser, und am Tag ihrer Ankunft hatte Cirk den Eindruck gehabt, geradezu von einer ganzen Teewolke eingehüllt zu werden. Er sprach seine Vermutung aus, und der Kapitän nickte bestätigend.
„Dem könnte durchaus so gewesen sein, denn gestern sind neue Teelieferungen von den Plantagen gekommen.“ Er griff nach einem Stück Gebäck. „Haben eigentlich alle Ihre Männer die Fahrt nach China gut überstanden?“
„Ja. Es gab keine Toten und nur wenige Erkrankungen während der neun Monate. Ich glaube allerdings, dass die gesamte Besatzung ein wenig an Gewicht verloren hat. Wir hatten zwar Hühner und sogar Schafe und Schweine mit an Bord, aber der Großteil der Mahlzeiten bestand aus Salzfleisch, Speck und Zwieback. Die frischen Eier landeten wie immer auf den Kaufmannstischen, und das Fleisch wurde an die Kranken ausgeteilt. Als wir in die Nähe der Kanalinseln kamen, fanden erschöpfte Landvögel den Weg auf unserSchiff. Das war eine willkommene Abwechslung. Meine Männer schnappten sich die Tiere mit der bloßen Hand und schlossen Wetten darüber ab, wer den größten Vogel fängt.“ Cirk schmunzelte in sich hinein. „Dank eines glücklichen Zufalls trug ich den Sieg davon. Ein Rebhuhn flog durch das offene Fenster in meine Kajüte.“
Kapitän Jacobs lachte. „Wir haben während der Überfahrt auch unter der kargen Kost gelitten und sogar Schildkrötenfleisch gegessen. Unser Koch hat eine vortreffliche Suppe daraus zubereitet.“
„Wie ist es Ihnen ergangen seit unserem
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