Die Friesenrose
werden, hier in Kanton.“
Abschied von Kanton
Anfang Dezember traten die beiden Schiffe endlich die Heimreise an. In den letzten Wochen hatte es mehr geregnet als in den ganzen Monaten zuvor. Die Kaufleute waren froh, all ihre Geschäfte abgewickelt zu haben, und die Chinesen schienen gleichfalls sehr zufrieden zu sein. Cirk stand neben Kapitän Jacobs am Hafen von Kanton, in den ihre beiden Schiffe gebracht worden waren, und wartete auf die Verladung der gekauften Waren in die Frachträume. Genau wie die Kaufleute konnte auch Cirk die Abreise kaum noch erwarten, doch der Abschied von Hong war allen schwer gefallen. Sie würden sowohl ihn als auch sein Essen vermissen. Er war ihr guter Geist während ihres Aufenthalts in China gewesen.
Gestern hatte der Koch noch einmal das Leibgericht der Männer zubereitet: Dim Sum, oder Kleine Herzwärmer , wieder Flame es einmal genannt hatte. Die Mahlzeit bestand aus verschiedenen Gerichten, die in Bambuskörbchen gereicht wurden. Die Körbe wurden zum Dämpfen übereinandergestapelt. Die Gerichte bestanden aus Teigtaschen, die mit Fleisch, Meerestieren und -früchten, aber auch mit Eiern oder Süßem gefüllt waren. Dazu gab es Soßen und den unvermeidbaren chinesischen Tee.
Ihre wenigen persönlichen Habseligkeiten waren schon auf den Schiffen verstaut worden, und die Maisje , wie auch die Burg von Emden , würden noch heute auslaufen und gemeinsam nach Hause segeln, wie Kapitän Jacobs und Cirk es vereinbart hatten. Jetzt standen die beiden Männer am Hafen und harrten der Dinge.
Die anstehende Abreise ließ Cirk seit langer Zeit wieder intensiv an Inken und an Tjalda denken. Wie er sich auf die offenen Arme der zwei Frauen freute! Er musste nur noch die Monate auf See überstehen.
„Und dann werde ich niemals wieder eine längere Reise antreten“, schwor Cirk sich.
Seine Augen ruhten auf dem Wasser. Was mochte Inken jetzt tun? Ob die Sehnsucht sie in gleichem Maße plagte wie ihn? Und ob ihr Vater inzwischen aus der Gefangenschaft heimgekehrt war? Wenn nicht, würde Tjalda sich sicherlich um sie kümmern. Nein, um ihr Wohlergehen musste er sich keine Sorgen machen. Sorgen bereitete ihm eher Lucia, deren Bild nun vor seinem inneren Auge erschien. Hoffentlich hatte Thomas nach England zurückkehren und seine Schwester endlich zur Raison bringen können. Die Großeltern würden ihrer wohl kaum Herr werden. Was war es nur, das Lucia trieb, alle ins Unglück zu stürzen? Zuerst die junge Braut, der sie den Verlobten ausgespannt hatte. Aus Langeweile, wie Lucia zugab, nachdem die Liebschaft schon nach kurzer Zeitwieder von ihr beendet worden war und seine Verlobte sich von einer Brücke gestürzt hatte.
Dann der junge Mann, der, nur um in ihrer Nähe bleiben zu können, eine große Karriere aufgegeben hatte. Als er ihr deshalb keine kostbaren Geschenke mehr machen konnte, hatte Lucia befunden, er sei nicht mehr gut genug für sie. Und zu guter Letzt noch ihre Affäre mit dem verheirateten spanischen Kapitän. Angeblich ihre große Liebe. Um ihn zu halten, hatte Lucia es darauf angelegt, schwanger zu werden. Doch als der Spanier von dem Ergebnis ihrer Liaison erfuhr, war er auf und davon gegangen. Und Lucia hatte sich, der Not gehorchend, ihm, dem besten Freund ihres Bruders, an den Hals geworfen. Cirk lachte bitter. Dabei musste Lucia doch wissen, dass er sie längst durchschaut hatte. Außerdem liebte er Inken, was er Lucia auch gesagt hatte, nur wollte sie es nicht gelten lassen. Thomas hatte ihm versprochen, seine Schwester zur Vernunft zu bringen. Und Cirk konnte nur hoffen, dass ihm das gelungen war.
Aber das würde er später ja erfahren. Jetzt hieß es erst einmal, Mannschaft und Schiff heil und gesund wieder nach Hause zu bringen.
Ein Sonnenstrahl brach durch die Wolken und ließ das Wasser im Hafen silbern glänzen. Weiße Schwäne glitten auf seiner Oberfläche. Handelsschiffe und kleine chinesische Dschunken dümpelten, in Sonne getaucht, vor sich hin. Welch ein himmlischer Anblick!
„Was für ein Tag!“ Kapitän Jacobs schlug ihm auf die Schulter. „Dieses herrliche Wetter, nach all dem Regen. China zeigt sich uns zum Abschied von seiner schönsten Seite.“
„Ja.“ Cirk lächelte. „Aber die wahren Schönheiten Chinas habe ich in all den Monaten nicht zu Gesicht bekommen.Während der ganzen Zeit habe ich keine einzige Chinesin gesehen. Das ist doch geradezu unheimlich, oder?“
„Es gib sie aber, die Chinesinnen“, schmunzelte der Kapitän.
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