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Die Friesenrose

Die Friesenrose

Titel: Die Friesenrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Oltmanns
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grauen Schleier gehüllt, drangenalle Geräusche leiser als sonst ans Ohr: das Schreien der Möwen, das Rauschen des Meeres, selbst die traurige Melodie des Regens auf Sand und Muscheln. Träumerisch ging Inken am Strand entlang. Weder der Nebel noch der Regen hatten sie abhalten können.
    Wie lange war es her, dass sie zuletzt ganz alleine und für sich am Strand gewesen war? Es kam ihr wie eine halbe Ewigkeit vor. Weit schritt sie aus und ließ die Häuser und die Menschen hinter sich.
    Da hörte der Regen, so plötzlich wie er gekommen war, auf, und das Wetter änderte sich.
    „Eine Besonderheit der Insel“, dachte Inken und musste lächeln.
    Der Nebelschleier lüftete sich, die Sonne durchdrang ihn und verwandelte die bislang graue Welt in ein buntes Lichterspiel. Bald würde sich die noch kühle Luft erwärmen, und es versprach ein schöner Frühlingstag zu werden. Begierig nahm Inken die Farben in sich auf, sog den Duft der Insel und des Wassers tief in ihre Lungen ein und breitete die Arme aus.
    „Ich bin wieder hier!“, schrie sie dem Meer entgegen, dem sie sich in seiner Wildheit und Ursprünglichkeit ganz nahe fühlte. Niemand konnte das Meer zähmen, es war unberechenbar und frei. So wie sie frei war, hier und jetzt. Nichts und niemand hatte sie beugen können, auf der Insel nicht und in der Fremde auch nicht. Sie war sich treu geblieben, so wie sich das Meer treu blieb, dessen Facetten stets zwischen einem sanften Blau, einem verwunschenen Türkis oder einem wütenden Dunkelgrau wechselten. Über seiner unendlichen Weite spannte der Himmel einen gewaltigen Bogen. Himmel und Meer – einander so fern und doch so nah. Eine Einheit in Blau und Grau.
    Alles, was bislang wichtig gewesen war, war nun weit,weit fort. Dafür gewann anderes an Gewicht. Wie die am Himmel kreisenden Möwen. Sie suchten Genießbares am Spülsaum des Meeres, jagten anderen Vögeln ihre Beute ab oder warfen aus großer Höhe Muscheln auf Steine hinab, damit deren Schalen beim Aufprall zersprangen.
    Zersprungene Muschelschalen – dieses Bild ließ sie unwillkürlich an zerplatzte Träume denken. An ihre Träume. Und endlich, im Angesicht des Meeres, erlaubte sie sich nach langer Zeit wieder zu weinen. Sie weinte um sich, um Cirk und um das, was hätte sein können. Das Rauschen der Wellen tröstete sie und Inken öffnete sich dem Ruf des Wassers, versank in seinem Anblick, ließ sich treiben und die Grenzen verschwimmen. Wasser verlandete, Land wurde Meer, alles löste sich ineinander auf und ein Gefühl der Haltlosigkeit erfasste sie. Es gab keine Wege, keinen Boden unter ihren Füßen, und doch gewann ihre Seele Raum. Später, sehr viel später verloren sich diese Eindrücke wiederum in einem Gefühl tiefer Zufriedenheit, und die Leere in ihrem Inneren verschwand.
    Sie würde niemals wieder einen Menschen so lieben wie Cirk. Aber davon durfte ihre Welt nicht untergehen! All die Monate hatte sie sich von ihrer Liebe zu ihm nicht befreien können. Das würde sich nun ändern. Es würde sich ändern müssen! Für einen Augenblick blieb Inken stehen und genoss es, sich gegen den Wind zu stemmen, genauso wie sie ihren Gefühlen Widerstand leisten wollte und konnte! Sie würde fortgehen von hier, alles hinter sich lassen und einen Neubeginn wagen.
    Sumi kam ihr in den Sinn und eine ihrer chinesischen Weisheiten:
    Etwas ziehen lassen, aufgeben, loslassen heißt, ein Stück weit Sterben zu lernen, aber auch ein Stück weit Freiheit zugewinnen, um dem Neuen, dessen Schatten schon sichtbar ist, Raum zu geben .
    Und Inken wusste bereits, was Raum gewinnen sollte. Sie würde dafür sorgen, dass auch die einfachen Bürger Emdens Sumis Tee in einem angemessenen Geschirr genießen konnten. Die Idee war ihr schon vor einigen Wochen gekommen, als sie von einem Handelsvertreter aus Wallendorf besucht worden waren. Die Postkutsche hatte ihn und seine Kiepe mit Porzellan direkt vor der Kruiderrie abgesetzt. Sumi war erst blass und dann rot geworden, als sie das wunderschön bemalte Geschirr im Gepäck des Vertreters sah. Es glich ihrem Auftragsporzellan aus China, war aber vergleichsweise günstig. Inken hatte sich nicht sattsehen können an den kleinen Schalen, den Koppkes , dem Spülnapf, dem Teetopf und den zierlichen Zuckerdosen. Teller, Schüsseln und zinnerne Leuchter waren vor ihren staunenden Augen aufgebaut worden. Sie hatte dem stolzen Handelsvertreter fast alle Waren abgekauft, und seinen Hut schwenkend war der Mann aus Wallendorf wieder

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