Die Friesenrose
warten, hatte sie ihrer Sehnsucht nach dem Vater und nach Borkum nicht widerstehen können. Sumi war aus einem anderen Grund mitgekommen. Sie brauchte Ruhe, um einer besonderen Idee Gestalt zu geben.
„Geht nur und lasst mich mit der ganzen Arbeit alleine sitzen“, hatte Tjalda sie neckend verabschiedet. „Und grüßt mir den alten Haudegen und die verliebte Wiebke.“
Tjalda hatte für die erwarteten Waren vorsorglich einen der Speicher am Hafen angemietet. All ihre gemeinsamen Pläne für die Zukunft hingen nun vom sicheren Eintreffen des Frachtschiffes und seiner Ladung ab.
Vieles hatten sie erreicht in den letzten zwei Jahren. Nur zu gerne machten die Händler mittlerweile Geschäfte mit ihnen, so dass sie alle drei von den Einnahmen ein gutes,wenn auch schlichtes Leben führen konnten. Der Rest des Gewinns wurde in neue Ware investiert.
Zwischenzeitlich gab es sogar einen Verwalter für das angemietete Vorratslager und, neben Wiebke, noch zwei weitere Frauen, die im Verkauf halfen. Der Tee wurde nicht mehr nur im Laden angeboten, sondern auch mittels Lohnkutschern und Spediteuren übers ganze Land geschickt. In schmucken Dosen, aromasicheren Behältnissen aus Weißblech, wurde er als Geschenk verpackt, mit einer Grußkarte versehen und danach mit der Postkutsche weit über die Grenzen Ostfrieslands versandt. Nicht wenige der Beschenkten orderten danach ebenfalls regelmäßig Friesengold aus Emden. Torfkähne brachten Tee und Waren bis in die entferntesten Moorgebiete. Auf diese Weise hatte sich ein regelrechter Handelsverkehr zwischen Emden und den Fehnen entwickelt.
Viele Teetrinker erkannten das echte Friesengold mittlerweile am Warenzeichen, das Sumi entworfen hatte. Eine aufgehende goldene Sonne, in deren Mitte zwei Teeblätter und eine Knospe zu sehen waren. Darunter stand in zierlichen Buchstaben zu lesen: Friesengold – und die Sonne geht auf .
Auch im Laden hatte es einige Veränderungen gegeben. Mehr durch Zufall war Tjalda der Einfall gekommen, eine kleine Nische mit Bekleidung im Krämerladen herzurichten. Der Grund dafür war einer ihrer säumigen Kunden gewesen, von dem sie statt einer geldlichen Rückzahlung Naturalien in Form von Kleidern erhalten hatte.
„Was soll ich altes Weib mit ausgewählten Kleidungsstücken für den Herrn“, hatte sie sich verzweifelt gefragt.
Doch dann war ihr eine ganz neue Geschäftsidee gekommen und ihr Unmut schnell in Begeisterung umgeschlagen. Nur kurze Zeit später konnten sich sowohl Damen als auch Herren in der Kruiderrie einkleiden. Inken hatte eine jungeSchneiderin ausfindig gemacht, die nach den Wünschen ihrer Kundschaft Kleidungsstücke entwarf und nähte. Und entgegen all ihren Befürchtungen war auch dieser Zweig ihres Geschäfts gut angenommen worden.
Eigentlich, dachte Inken, gilt es nur Waren zu finden, die die Leute brauchen oder wollen. Letzteres ist natürlich manchmal schwer abzuschätzen, denn es bedeutet auch immer, Wünsche vorhersehen und wecken zu können. Aber bislang hatte Inken, wenn ihre Kunden etwas wollten, was es so nicht zu kaufen gab, noch immer einen Weg gefunden, es herzustellen zu lassen.
In dieser Zeit als Geschäftsführerin war ihr vieles klar geworden, und sie hatte zwei äußerst wichtige Erfahrungen gemacht. Zum einen, dass Geld das überzeugendste Argument war. Kaltem, hartem Bargeld auf dem Tisch konnte kaum jemand widerstehen. Zum anderen, dass eine Vorauszahlung die Versuchung schlechthin war. Die Meisten verschlossen sich ihrem Vorschlag, der dann folgte, nicht länger. Und schließlich, dass man jede günstige Gelegenheit ergreifen musste. Aber das kam ihrem Naturell entgegen, denn sie war kurz entschlossen und mutig.
Inken lachte in sich hinein, als sie an Sumis entsetzten Gesichtsausdruck angesichts der exotischen Früchte dachte, die sie eines Tages erworben hatte. „Es gibt diese Waren in keinem Geschäft weit und breit“, war ihr einziges Argument gewesen, getreu ihrer Überzeugung, dass man Wünsche erst wecken musste, und hatte auch hierin Recht behalten. Wer exotische Früchte wollte, kam seitdem zu ihnen und kaufte nebenbei auch viele andere Dinge aus ihrem Sortiment. Besonders die Süßwaren der Kruiderrie waren begehrte Mitbringsel. Sie wurden zur Begeisterung ihrer Erwerber wie ein Geschenk in silbernes Papier eingewickelt.
„Für einen Augenblick hat man das Gefühl, es ist Weihnachten“, hatte eine Käuferin kürzlich den Reiz des Einkaufs in der Kruiderrie zusammengefasst.
Sumi und
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