Die Friesenrose
hiesigen Teekultur. Also werde ich, deine Zeichnungen im Gepäck, nach Thüringen fahren und dort vorstellig werden. Es muss mir einfach gelingen, eine geeignete Porzellanmanufaktur – vielleicht die des Handelsvertreters aus Wallendorf – für mein Vorhaben zu gewinnen. Und weißt du, Sumi“ – mit blitzenden Augen maß Inken die Freundin –, „für die Teetassen, da habe ich noch eine ganz besondere Idee. Wie wäre es denn, wenn wir Henkel an den Tassen anbringen würden.“ Inken schnappte sich ein kleines Stöckchen und zeichnete eifrig eine Teeschale mit Griff in den Sand. „So in etwa stelle ich mir das vor. Du weißt doch, besonders die Männer lieben es, den Tee zu trinken, solange er noch dampft. Und wie schrecken ihre Finger immer vor dem heißen Porzellan zurück. Da wäre so ein Henkel doch Gold wert! Und wenn ich all meine Vorstellungen umgesetzt habe, werde ich als fahrende Händlerin ganz Ostfriesland und die Inseln bereisen, um deinen Tee und unser Geschirr bekannt zu machen. Was hältst du davon? Das bestellte Geschirr kann, in Kiepen verpackt, mit den Postkutschen den langen Weg bis hierher zur Küste gebracht werden.“
Sumi hatte Inkens langen Vortrag nicht unterbrochen. Sie lächelte sanft. „Diese besorgte Chinesin freut sich, dass die Frau mit dem Flammenhaar neue Pläne schmiedet. Das ist ein gutes Zeichen. Sie glaubt auch, dass alle Einfälle gut und umsetzbarsind. Eine Teeschale mit Henkel allerdings mutet sie ein wenig merkwürdig an. Schmiegt sich nicht die Schale wie von selbst in die Handinnenflächen des Teetrinkers? Diese ewig fröstelnde Chinesin zumindest liebt es, sich an kalten Tagen am heißen Tee nicht nur innerlich zu wärmen. Doch was die Männer angeht, mag die Vermutung richtig sein. Es wird allerdings viel Fingerspitzengefühl erfordern, den Henkel anzugarnieren. Doch diese Chinesin hat keinen Zweifel daran, dass es den Herstellern des Wallendorfer Porzellans gelingen wird. Ihr gefällt es außerdem, dass die Manufaktur aus Thüringen es sich auf die Fahne geschrieben hat, erschwingliches Geschirr für alle Teetrinker und nicht nur für die Reichen herzustellen.“
„Ja“, nickte Inken. „Und es gibt eine große Nachfrage. Der Handelsreisende hat von Abrechnungsbüchern gesprochen, in denen die Herstellung von 53000 reich bemalten und teilweise vergoldeten Teekäppchen verzeichnet ist.“
„Da muss diese Chinesin ja fleißig sein und die Vorlagen fertig stellen.“ Sumi griff wieder nach dem Pinsel.
„Ach, so eilig ist es nicht. Ich will das Eintreffen der Maisje noch abwarten.“ Inken seufzte schwer. „Außerdem muss ich Tjalda und meinen Vater noch überzeugen.“ Sie wandte sich der Haustür zu. „Und Letzteres werde ich jetzt gleich tun. Sofern Vater vor lauter Turteln mit Wiebke Zeit hat.“
Sumi hob mahnend den Finger in die Höhe, doch Inken lachte nur.
12. In die Falle gelockt
Versteigerte Ladung der am 6. Juli 1753 zurückgekehrten „König von Preußen“:
… Drachenblut, Alaus, Sago, Kampfer, Curcuma ,
Tee, Seide und andere Waren und Drogen .
… 227 verschiedene Tafelservice
… 220 komplette Teeservices
… 600 Teekannen
17000 Punschkumpen
51877 henkellose Teetassen
Das Borkumer Riff
Es musste noch sehr früh am Morgen sein, als ein wiederholtes Klopfen an der Tür Inken aus tiefem Schlaf hochschrecken ließ.
„Kind, du musst aufstehen“, ertönte die besorgte Stimme ihres Vaters. „Es …“ Er zögerte einen Moment. „Es ist ein Unglück geschehen. Ein Frachtschiff ist auf das Borkumer Riff geraten!“
Mit zitternden Knien zog Inken sich an. Schauer liefen ihr über den Rücken. Es war beileibe nicht das erste Mal, dass ein Schiff vor Borkum strandete. In schlechten Zeiten hatten die Insulaner förmlich auf solche Gelegenheiten gewartet, umihren kargen Verdienst aufstocken zu können. Das Strandrecht war uralt und sicherte den Küstenbewohnern alles, was das Meer an Land spülte. Viele Fischer sahen in diesem Recht einen Ausgleich Gottes für ihr hartes, mühsames Leben. Dieses Recht erstreckte sich auch auf gestrandete Schiffe. Und so war, wie die Alten erzählten, in früherer Zeit so manches Schiff mittels eines Feuers auf ein Riff oder in eine Untiefe gelockt worden, damit das „Gottesgeschenk“, wie sie das Strandrecht liebevoll nannten, sich auch wirklich hin und wieder über die Inselbewohner ergießen konnte. Wenn allerdings ein Mannschaftsmitglied den Schiffbruch überlebte, gehörte das Strandgut dem Finder
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