Die Friesenrose
klare Verhältnisse sorgen und hat ihrem Schreiben – damit ich keine weiteren Hoffnungen mehr hege – Auszüge aus einem Brief Cirks an sie beigelegt.“ Ein bitterer Unterton war in Inkens Stimme zu hören gewesen. Sie hatte ihrem Vater nicht erzählt, dass dieser Brief sie wie ein Dolch mitten ins Herz getroffen hatte. „Ich erspare dir den genauen Inhalt der Zeilen, Vater. Aber es waren zu Herzen gehende Worte von Liebe und Sehnsucht. Sie möge auf ihn warten und – was auch immer geschehe – das Vertrauen zu ihm nicht verlieren. Aus Gründen, die er ihr in seinem Schreiben nicht nennen könne, wäre er gezwungen, für Monate das Land zu verlassen, würde aber zu ihr zurückkehren.“ Inken hatte es merkwürdig gefunden, dass Lucia den Brief zerrissen und ihr einen Teil davon zugeschickt hatte. Sie hätte niemals ein Schreiben ihres Geliebten aus der Hand gegeben!
Lange Zeit war es still gewesen zwischen ihnen, dann hatte Inkens Vater tief Luft geholt. „Du sagst, deine Liebe zu ihm sei gestorben, doch deine Augen und das Zittern deiner Lippen sprechen eine andere Sprache, mein Kind.“
Inken hatte nicht weinen können. Ihre Stimme war tonlos gewesen. „Ich glaube, ich werde es nie verwinden, Vater.“
Sanft hatte er sie in seinen Armen gewiegt. „Doch, das wirst du. Das Leben hält neue Herausforderungen für dich bereit, und dieser Cirk Hoogestraat ist weit fort.“
„Aber er wird zurückkommen“, hatte sie geantwortet und damit den Albtraum, der sie quälte, in Worte gefasst. „Du weißt noch nicht alles! Cirk hat Lucia nur geschrieben, dass er für Monate das Land verlassen wird, aber weißt du, wohin er gegangen ist? Nach China! Als Kapitän auf dem Handelsschiff von Reemt Neehus. Kannst du dir Tjaldas Enttäuschungvorstellen, als sie davon erfuhr? Schon alleine dafür, dass er Tjalda so tief verletzt hat, müsste ich ihn hassen.“ Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt. „Sumi, die Cirk nicht kennt, aber mittlerweile alles über ihn weiß, glaubt, dass die Liebe einen Menschen völlig verwandeln, ihn zum Spielball anderer machen und falsche Entscheidungen treffen lassen kann. Aber ich glaube, Cirk hat ganz alleine entschieden, dass er für Reemt Neehus nach China fahren will. Dazu hat ihn niemand gezwungen. Es war einfach die Möglichkeit für ihn, allem zu entfliehen und zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: vor seiner Verantwortung gegenüber Lucia und dem Kind davonzurennen und sich gleichzeitig nicht Tjaldas vorwurfsvollen Augen stellen zu müssen. Von mir ganz zu schweigen. Tjalda hat mir erzählt, dass er schon immer davongelaufen ist, wenn dunkle Schatten ihn verfolgten. Doch wer weiß“ – Resignation hatte in ihrer Stimme gelegen –, „vielleicht braucht er auch einfach nur Geld. Und diese Sache mit Reemt Neehus ist gewiss ein lukratives Geschäft.“
Dass Cirk ihnen vielleicht bewusst Schaden zufügen wollte, davon hatte Inken nicht gesprochen, obwohl dieser Verdacht wie eine ätzende Säure langsam in ihr hochgekrochen kam. Aber sie biss die Zähne zusammen. Mochte es Cirk auch fast gelungen sein, ihr Herz zu brechen – mehr würde sie sich von ihm nicht nehmen lassen.
Es mochte sein, dass dieser Teufelskerl mit seinem Schiff und Reemt Neehus’ Ladung eher in Emden eintraf als der Kapitän der Maisje . Neehus hatte schon im Vorfeld triumphierend mit Cirks Fähigkeiten geprahlt und jedem, der es hören wollte, erzählt, dass sein Frachtschiff mit Sicherheit vor der holländischen Maisje eintreffen würde. Das wäre natürlich nicht so gut für Inkens Geschäft, denn die Kunden warteten schon begierig auf die Waren aus China. Den Tee würden sietrotzdem in der Kruiderrie kaufen, denn das Friesengold war konkurrenzlos gut, und das wussten die Emder mittlerweile. Sumi war sich ihrer Kunden sicher, doch es lag ihnen natürlich auch daran, Stoffe, Arzneimittel, Gewürze, chinesische Kunstgegenstände und vor allen Dingen das bestellte Porzellan vor Neehus anbieten zu können. Gerade das Auftragsporzellan wurde schon sehnlichst erwartet und würde auf jeden Fall abgenommen werden.
„Die Hauptsache ist, dass die Maisje mit Mannschaft und Ladung überhaupt wieder heil in Emden ankommt“, hatte Tjalda abschließend befunden, und das sah Inken genauso.
Das Einzige, was sie fast keine Nacht mehr schlafen ließ, war die Furcht vor einer erneuten Begegnung mit Cirk. Dazu durfte es nicht kommen, denn das würde sie nicht ertragen. Für einen Augenblick überkam Inken das
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