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Die Friesenrose

Die Friesenrose

Titel: Die Friesenrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Oltmanns
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einem Mann abhängig gemacht hatte, der sie weniger achtete als das Schwarze unter seinen Fingernägeln. Und dieser Mann, sein Vater, hatte sich auch niemals einen Deut um seinen Sohn gekümmert. Cirk biss die Zähne zusammen und versuchte die Schatten der Vergangenheit zu vertreiben. Diese leidende Frau, dieses abhängige Wesen, die ihm vor ihrem qualvollen Tod eine fast unmenschliche Last aufgebürdet hatte. Eine Last, die er nicht tragen wollte und doch musste. Der Preis, den er für jeden Tag, den seine Mutter überlebt hatte, hatte zahlen müssen, war hoch gewesen. Und als er endlich frei davon gewesen war, hatte Cirk sich geschworen, nie wieder in eine ähnliche Abhängigkeit zu geraten.
    All die Jahre hatte er diesen Schwur gehalten: keine Bindung, keine Liebe, keine Verpflichtung. Doch jetzt lehnte sich sein Inneres gegen ihn auf, und er spürte nur noch eine schale Leere in sich, nachdem er Inken in seinen Armen gehalten und wieder verloren hatte. Die Umarmung – Cirk lachte grimmig in sich hinein. Da hatte er tatsächlich geglaubt, ein Kuss von ihr würde ihn kurieren, ein Kuss würde ihm zweifelsfrei klarmachen, dass Inken auch nicht anders war, nicht anders schmeckte und sich anfühlte als jede andere Frau. Aber so war es nicht gewesen. Ganz im Gegenteil! Dieser Kuss hatte einen Hunger in ihm geweckt, der ihn nun jede Nacht mit einer Heftigkeit überfiel und nicht mehr aus seinen Klauen ließ. Cirks Nägel gruben sich tief in seine Handballen. Diesen Hunger teilte Inken ganz gewiss nicht mit ihm! Nicht nach dem, was er von sich gegeben hatte!
    „Also wirklich, Cirk!“ Thomas’ Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. „Jetzt frage ich dich schon zum dritten Mal, wer denn nun diese geheimnisvolle Sie ist, und du hörst mir gar nicht zu.“
    Cirk fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Niemand, den du kennst.“ Seine Stimme klang abweisend und endgültig.
    „Schon gut.“ Thomas machte eine wegwerfende Handbewegung. „Behalte dein kleines Geheimnis ruhig für dich.“ Er machte ein verständnisvolles Gesicht. „Muss ja ein verdammt tapferes Mädchen sein. Sie hat dich beeindruckt, nicht wahr? Und das gefällt dir nicht! Du denkst mehr an sie, als dir lieb ist, hab ich nicht Recht?“, fragte er schadenfroh.
    Cirk gab keine Antwort, sondern schaute seinen Freund nur finster an. Dieser lachte. „Ist sie wenigstens hübsch?“
    „Schluss jetzt!“ Cirk riss an den Zügeln und gab seinem Pferd die Sporen. „Du hast deine Geheimnisse und ich habe die meinen. Frage ich jemals, wohin du manchmal ohne ein Wort verschwindest, egal, in welcher Stadt wir auch sind? Oder schere ich mich darum, welches Laster du hast, das dich all dein schwer verdientes Geld kostet?“
    „Hör auf!“ Thomas hob abwehrend die linke Hand, zum Zeichen dafür, dass er klein beigab. „Darüber möchte ich jetzt auf keinen Fall reden.“ Für einen kurzen Moment glitt ein düsterer Ausdruck über sein Gesicht, und Cirk wünschte sich, das Thema erst gar nicht angesprochen zu haben. Er wusste, dass Thomas nicht mit ihm darüber sprechen würde. Schon oft hatte er dem Freund finanziell aus der Enge helfen müssen und sich dabei gefragt, ob er wohl irgendwo eine sehr teure Gespielin aushielt. Doch dies war allein Thomas’ Angelegenheit und nichts, was ihre Freundschaft belastete. Jeder nahm den anderen so, wie er war, und ließ ihm seine Freiheiten. Es war eine Freundschaft ohne Zwänge, die sich nicht ständig beweisen musste.
    „Mach ein fröhliches Gesicht, mein Freund.“ Cirk nickte aufmunternd in die Richtung des kleinen Wäldchens, auf das sie zuritten. „Wir haben es gleich geschafft.“
    Thomas lächelte glücklich. „Großmutter wird staunen, wenn sie dich an meiner Seite sieht.“
    „Tja, diesmal konntest du meinen Besuch wirklich nicht vorher ankündigen“, kommentierte Cirk trocken. „Diese Rettungsaktion war alles andere als geplant.“
    „Bei uns bist du allezeit herzlich willkommen. Bleib so lange in England, bis die Franzmänner ihre Segel streichen.“ Thomas warf seinem Freund einen einladenden Blick zu. „Außerdem weißt du nur zu gut, dass meine Großmutter einen Narren an dir gefressen hat. Und nicht nur sie, wie mir scheint.“
    „Spielst du etwa auf deine Schwester an?“ Cirk lachte ungläubig. „Das glaubst du doch nicht wirklich! Du weißt genauso gut wie ich, dass Lucia nichts und niemanden mehr liebt als sich selbst.“
    Thomas verzog das Gesicht. Er nahm seinem Freund die Ehrlichkeit nicht

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