Die Friesenrose
übel. Dazu kannten sie sich zu lange und hatten zu viel gemeinsam erlebt. „Du hast sie durchschaut, nicht wahr? Ganz im Gegensatz zu vielen anderen Männern, denen sie den Kopf verdreht. Aber es wäre schön gewesen, dich als Schwager zu haben. Großmutter hofft noch immer heimlich darauf.“ Er lächelte, wurde dann aber unvermittelt wieder ernst. „Cirk, du weißt, dass ich mir nichts aus einem sesshaften Leben und der Vorstellung von Weib und Kind mache. Mir reichen die netten Mädchen, die mir in den Gaststuben bereitwillig ihre Herzen und Türen öffnen. Aber dich hat diese Art von Frauen ja nie gereizt. Also, worauf wartest du eigentlich, mein Freund?“ Ehrliches Interesse stand in Thomas’ Gesicht geschrieben. „Du willst frei sein, nicht wahr? Bist du deshalb so ungnädig, was die unbekannte Sie angeht? Ist es, weil diese Frau an deinem Herz rührt?“
Für einen Augenblick war Cirk versucht, seinem Freunddoch noch von Inken zu erzählen, unterließ es dann aber. Die Begegnung mit ihr konnte und wollte er einfach mit niemandem teilen. Und während Cirk sich noch um eine Antwort bemühte, gab sich Thomas bereits mit seinem Schweigen zufrieden.
„Lass gut sein, mein Freund. Jetzt ist nicht die Zeit für Grübeleien und finstere Gedanken. Jetzt sind wir in England und für eine Weile dem Krieg entronnen. Vergiss getrost deine Sorgen und Nöte und lebe einfach!“
Thomas’ aufmunternde Worte brachten ihm einen dankbaren Blick ein. Wärme stieg in Cirk auf, als er den Engländer musterte. Was für eine Wohltat war es, sich in diese Freundschaft fallen lassen zu können. Anfangs hatte er Thomas zwar für einen Draufgänger und Frauenheld gehalten, und vielleicht war er das auch. In diesem Fall jedoch wenigstens ein sehr sympathischer. Seine Erscheinung trug dazu bei, dass die Frauen ihn mochten. Er war überdurchschnittlich groß, hatte breite Schultern und dunkles Haar. Seine Augen, die fast schwarz waren, leuchteten stets voller Übermut und verliehen ihm den Charme eines großen Jungen. Ein Eindruck, der noch durch sein mitreißendes Lachen verstärkt wurde. Von Thomas Devon ging eine Leichtigkeit aus, die ansteckend wirkte und die die Menschen für ihn einnahm. Bei jedem anderen hätte Cirk diese Leichtigkeit wahrscheinlich für Oberflächlichkeit gehalten, doch bei Thomas wusste er es besser. Er hatte kein leichtes Leben gehabt. Sein Vater war sehr früh gestorben, und seine Mutter hatte nach mehreren Jahren erneut geheiratet. Diesmal keinen Engländer, sondern einen Emder Geschäftsmann – woher auch Thomas’ Verbundenheit mit Ostfriesland herrührte. Ein Schatten lag über dieser Heirat, den Cirk nie richtig zu deuten gewusst hatte. Wann immer Thomas von seinem Stiefvater sprach, war er vollerHass. Als Thomas’ Mutter dann im letzten Jahr gestorben war, hatte Cirk für eine Weile geglaubt, sein Freund würde sich von diesem Schlag nicht wieder erholen, denn er schien sich die Schuld an ihrem Tod zu geben. Doch mittlerweile hatte sein Freund das Schlimmste überwunden, auch wenn seit dem Tod der Mutter die Verantwortung für den Rest der Familie schwer auf seinen Schultern lastete.
Da waren Thomas’ Großeltern, einst einflussreich und mächtig. Heute jedoch, nicht zuletzt durch den Krieg, verarmt und ihrer Stellung beraubt. Viele Menschen hungerten, und der Adel, zu dem auch Thomas’ Familie zählte, musste schon lange auf den gewohnten Luxus verzichten. Die anfängliche Euphorie, mit der die Engländer den kleinen Kaiser in seine Schranken hatten verweisen wollen, war einer bleiernen Müdigkeit gewichen. Als England Napoleon 1803 den Krieg erklärt hatte, waren die Menschen noch voller Patriotismus gewesen. Mit Stolz hatten sich die jungen Soldaten in den schönen neuen Uniformen präsentiert und waren gefeiert und bejubelt worden. Es schien kein großes Unterfangen zu sein, die Franzosen zu besiegen. Viele Männer hatten sich freiwillig gemeldet, und jeder einzelne Soldat hatte sich als Held zurückkehren sehen.
Doch mittlerweile dauerte der Krieg schon sieben lange Jahre. Viele Soldaten waren seitdem wenig glorreich gestorben, und das Land trauerte. Der Realität ins Auge sehend, glaubte niemand mehr an einen schnellen Sieg. Und freiwillig meldete sich kaum noch jemand, um zu kämpfen. Stattdessen erzählte man sich hinter vorgehaltener Hand sogar von arglosen Burschen, die von der Straße weg und unter Androhung von Gewalt zu Soldaten verpflichtet und auf das nächste Schiff geschleppt
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