Die Friesenrose
Losentscheid unterwerfen. Der Torfschiffer Harm erzählte von regelrechten Aufständen gegen die Franzosen. Die Rädelsführer wurden ausfindig gemacht und zum Tode verurteilt. Alle anderen hat man verhaftet und unter starker Bewachung nach Antwerpen gebracht. Wie haben die Frauen und Kinder in Timmel und den umliegenden Fehndörfern gelitten! Erst nach einem Jahr wurden die Aufsässigen wieder in ihre Heimat zurückgeschickt. Bis heute hat es keinen Widerstand mehr gegeben. Zu groß ist die Angst vor den Repressalien Napoleons.“
Inkens Mund wurde schmal vor Zorn. Die Menschen würden nur noch einmal aufstehen, wenn sie sich alle einig wären. Und der kleine Franzose verstand es sehr gut, die Ostfriesen einzuschüchtern und gegeneinander aufzuwiegeln.
„Solange durch Losverfahren bestimmt wird, wer als Soldat in den Krieg ziehen muss, einigen sich die Menschen sicherlich nicht. Jeder wird versuchen, das Unglück von sich abzuwenden. Man sagt, die Reichen können ihre Söhne freikaufen oder sich ,Ersatz‘ besorgen. Warum sollten sie sich also mit den Armen verbünden? Und diejenigen, deren Söhne ziehen müssen, werden dies den Reichen anlasten. Die Zerrissenheituntereinander wird steigen und dem Feind in die Hände spielen.“
Inken spürte die Verbitterung in ihrem Herzen. Was war das für ein Mann, der ein ganzes Dorf seiner Männer beraubte? Was war das für ein Mensch, der sein Kanonenfutter durch das Los bestimmte? Wie grausam musste ein Mann sein, damit ihm ein solcher Schachzug einfiel? Vielleicht so grausam wie ihr Onkel? Erst kürzlich waren Nachrichten vom Russlandfeldzug des französischen Kaisers, besser gesagt vom Rückzug aus Russland, ins Moor gedrungen. Die Wege seien mit toten und sterbenden Menschen gepflastert gewesen, und nicht einmal die Pferde hätten es geschafft, sich gegen den Schnee und den eisigen Nordwind zu behaupten, hieß es. Um sich innerlich wärmen zu können, hätten einige für einen Schluck Branntwein ihren Kameraden umgebracht. Auf diesem Feldzug, seien Freundschaft, Liebe und Mitleid in den Männern gestorben. Inken fröstelte, wenn sie daran dachte, dass Napoleon jetzt wieder neue Soldaten für sein Spiel brauchte. Was würde geschehen, wenn er nun die Söhne der Moorkolonisten einziehen würde? Bislang hatte man das Moor geflissentlich ausgenommen. Hier würde sich niemand freikaufen können. Die Menschen hatten kaum genug zum Überleben und brauchten zum Torfabstechen jede Hand. Einige Wenige besaßen Torfkähne, mit denen sie das abgestochene Brennmaterial in die Dörfer und Städte fuhren. Einzig der Werftbesitzer und ihr Onkel, den die Großefehngesellschaft unterstützte, kamen besser über die Runden.
„Wie kommt es eigentlich, dass die Fehnherren gerade Onkel Eggo die Verwaltung des Compagniehauses überlassen haben? Ich habe eigentlich nicht den Eindruck, dass sie ihm besonderes Vertrauen oder Freundschaft entgegenbringen.“
Tante Tine zuckte die Achseln, und wieder wurde ihrschmächtiger Körper vom Husten geschüttelt. „Eggo hat viele Geheimnisse. Schon damals, als ich ihn kennen lernte, hielt er dieses Haus für die Obererbpächter in Ordnung. Bald werden die Herren wiederkommen und kontrollieren, ob die Kolonisierung voranschreitet. Dann werden wir es etwas besser haben.“
Ihre Tante hatte Recht. An diesen wenigen Tagen im Jahr riss sich Onkel Eggo zusammen. Inken würde ihr einziges gutes Kleid tragen dürfen und die Fehnherren bewirten müssen. Tee und Butterbrote, Heu und Hafer für die Pferde, Essen und Trinken auch für die Knechte der Obererbpächter. Mittags Braten auf dem Tisch und viel Bier und Wein.
„Gieß Branntwein in die Getränke. Wenn diese Klugscheißer besoffen sind, stellen sie keine Fragen“, hatte Onkel Eggo beim letzten Mal angeordnet.
„Sie werden wieder nur trinken und nicht ordentlich kontrollieren“, mutmaßte Inken.
„Ja.“ Tante Tine nickte. „Eggo lässt sie nur sehen, was sie sehen sollen. Die vier Tagwerke Moor, die er selber bearbeiten muss, haben diese Herren noch kein einziges Mal zu Gesicht bekommen. Und wenn ihm die Nase eines Moorkolonisten nicht passt, dann wird er ihm etwas anhängen und dies bei den Buchhaltern vorbringen. Eggo hat nicht nur uns in der Hand, mein Kind, er hat hier alle in der Hand. Darum sagt auch niemand etwas gegen ihn. Er will die Herren diesmal darum angehen, ihm als Nebenverdienst das Krugrecht und die Geneverbrennerei zu geben. Und wer dann sein bester Kunde sein wird, das
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