Die Friesenrose
wissen wir beide ganz genau, nicht wahr? Eggo rechnet sicherlich damit, dass du hier Tag und Nacht ausschenkst.“ Die Ältere fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Kind, ich hoffe von ganzem Herzen, dass die Franzosen endlich vertrieben werden.“
Inken umarmte ihre Tante tröstend und führte sie dann nach draußen auf die Bank. Während die alte Frau dankbar die Sonnenstrahlen genoss, glitt Inkens Blick zum Himmel. Endlos war das blaue Meer dort oben, und es sah so aus, als bedürfte es nur eines Schiffes mit gesetzten Segeln, um es zu befahren. Wolken zogen vorbei, und wieder stieg Sehnsucht in Inken auf. Die weißen Himmelsschiffe kannten keine Grenzen, sie waren keiner Herrschaft ausgesetzt und keines Menschen Willkür. Schwerelos, sorglos leicht glitten sie dahin, und nichts und niemand konnte sie aufhalten. Schwermütig blickte Inken ihnen nach und wünschte sich, sie könnte mit ihnen ziehen.
Jebbedine
Es war ein wunderschöner Apriltag und die Luft so mild, dass sie den trügerischen Anschein erweckte, der Sommer wäre schon da. Haselkätzchen fielen auf den Weg entlang dem Wasser, Schlüsselblumen leuchteten unter dem kargen Bewuchs des Moores, und an den Ufern funkelten Sumpfdotterblumen so hell wie Sonnenstrahlen.
Behäbig pflügte der Torfkahn sich einen Weg durch das Wasser des Kanals. Cirk schloss die Augen und gab sich für einen Moment dem Gefühl von Unwirklichkeit hin. Er war nicht mehr in England! Er war wieder hier, und er war auf dem Weg zu Inken. Der Augenblick ihres Wiedersehens, von dem er all die Monate geträumt hatte, stand kurz bevor! Cirk sog die Luft tief in sich hinein. Es war ein äußerst gefährliches Unterfangen gewesen, ihn zurück nach Ostfriesland zu schmuggeln! Doch Thomas hatte es trotz der strengen Bewachung der Küste durch Douanen und Soldaten gewagt, nachHelgoland zu fahren. Und Cirk hatte den roten Felsen mitten im Meer, dessen Form und Farbe im Dunst der See erst im letzten Augenblick zu erkennen gewesen war, begrüßt wie einen Freund. Es gab immer noch heimliche Verbindungen mit ostfriesischen Schiffen, die Helgoland als Umschlagplatz nutzten. Auf diesem Weg war Cirk auch zurück nach Emden gekommen und hatte sich bei Nacht und Nebel zu Tjalda durchgeschlagen.
Diese hatte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und ihn einen Narren geschimpft. „Du saßest doch trocken und sicher in England. Was seid ihr Männer nur für Dummköpfe!“
Als Cirk ihr dann jedoch, ganz nebenbei, erzählt hatte, dass er Inken aufsuchen wolle, aufsuchen müsse , war ein mildes Lächeln auf Tjaldas Gesicht erschienen.
„Ach, also war es die Liebe, die dich leichtsinnig gemacht hat. Das kann mein altes Herz nun doch verstehen. Gut, dann geh zu Inken. Ich werde dir eine entsprechende Verkleidung besorgen. Aber danach versteck dich im Moor, hörst du! Hier kannst du jedenfalls nicht bleiben. Auf deinen Kopf ist eine hohe Belohnung ausgesetzt. An jedem öffentlichen Gebäude findest du einen entsprechenden Aushang. Und beim Geld hört die Freundschaft auf, das weißt du ja.“
Zwar würde Cirk alles andere tun, als sich im Moor zu verstecken, doch davon wusste Tjalda zum Glück nichts. Versteckt hatte er sich, weiß Gott, lange genug. Er hatte es so satt, untätig herumzusitzen und zuzuschauen, wie die Franzosen den Willen der Ostfriesen mehr und mehr brachen. Es war an der Zeit, Widerstand zu leisten. Zuvor musste er jedoch unbedingt Inken aufsuchen.
In den Tagen gleich nach seiner Rückkehr hatte er sich in Tjaldas Haus verborgen gehalten und nicht einmal die Nasenspitzezur Tür hinausgesteckt, während Tjalda, auf seine Bitte hin, vorsichtig Erkundigungen über Inkens Verbleib eingezogen hatte. Da war ihr Onkel, der für die Großefehngesellschaft arbeitete. Und einer von Tjaldas Kunden, ein Obererbpächter, hatte schließlich gewusst, wo Inken zu finden war. Ganz in ihrer Nähe lebte auch eine alte Freundin von Tjalda.
„Eine fürchterliche alte Moorhexe kann sie sein“, beschrieb die Geldhändlerin sie, „doch Jebbedine hat das Herz auf dem rechten Fleck.“
Und zu besagter Jebbedine war Cirk jetzt mit einem Rucksack, der einige Habseligkeiten enthielt, einem Korb voller Lebensmittel und herzlichen Grüßen von Tjalda unterwegs. Schließlich konnte er nicht einfach im Haus von Inkens Onkel aufkreuzen und darauf bestehen, mit Inken zu sprechen. Vielleicht würde sie ihn, wenn er so vorging, ja sogar abweisen. Er musste sich vielmehr versteckt halten und ein
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