Die Friesenrose
wurde ernst und blickte ihr direkt in die Augen. „Sie heißt Inken.“
„Och, Inken.“ Die Alte nickte. „Ist ein gutes Mädchen. Der Tine ihr Augenstern. Die hat weiß Gott auch einen Lichtblick nötig, um es neben ihrem versoffenen Kerl von Ehemann aushalten zu können. Sie ist sehr krank. Ich verdiene mein Brot damit, Leiden zu lindern, aber bei Tine ist mein bescheidenes Können vergebens. Ihre Krankheit wird unweigerlich zum Tod führen.“ Mit gespitzten Lippen stieß sie nachdenklich einige Rauchringe in die Luft, um Cirk dann mit einem abschätzenden Blick erneut zu mustern. „Zu Inken willst du also. Bist du ihr Liebster?“
„Das wäre ich gerne.“ Zu niemandem sonst hätte Cirk diese Worte sagen können, aber bei Jebbedine kamen sie ihm leicht über die Lippen.
„Ich kann euch zusammenbringen, aber du musst mir versprechen, dass du das Menschenkind noch eine kleine Weile hier im Moor lässt. Ihre Tante, die Tine, die macht es nicht mehr lange. Und wenn Inken geht, dann könnte ihr das Sterben zur Qual werden.“ Ihre Augen schienen ihn zu durchbohren.
Voller Unbehagen trat Cirk von einem Fuß auf den anderen. Auch wenn die Vernunft ihm sagte, dass Inken sich weiterhin im Moor verstecken musste, so war sie ihm in seinen Träumen doch stehenden Fußes und allen Gefahren mutig ins Auge sehend gefolgt.
Die Alte sah ihn noch eine Weile durchdringend an, doch dann zuckte sie die Achseln. „Kannst getrost bleiben, bis es wieder freundlicher wird in der Welt. In der Hütte habe ich noch eine Schlafbank frei.“ Sie nickte zur Tür hin.
„Danke, aber ich glaube, sehr lange werde ich dein Angebot nicht nutzen.“ Cirk zögerte. „Und meine Anwesenheit hier sollte unter uns bleiben. Die Franzosen würden meiner sehr gerne habhaft werden und dafür sogar den Weg ins Moor nicht scheuen.“
„Oh, so ein guter Fang bist du?“ Die Alte pfiff leise durch die Zähne. „Ich bin schweigsam wie ein Fisch. Nachdem mein Alter das Zeitliche gesegnet hat, habe ich das Sprechen eh fast verlernt.“
Sie ging vor Cirk her ins Haus, das nur aus zwei Kammern bestand. Die hintere Kammer diente ihr offensichtlich zum Schlafen, und durch die offene Tür hindurch sah Cirk, dass sie winzig war. Der vordere Raum war spärlich mit einigen Holzstühlen und einem grob gezimmerten Tisch eingerichtet. An der einen Wand befand sich eine Schlafbank mit einem Schaffell darauf. Die bot Jebbedine ihm nun mit einer Handbewegung an. Die beiden Truhen an der Wand auf der gegenüberliegenden Seite schienen ihre ganze Habe zu beinhalten. Jebbedine entfachte das Feuer in der Herdstelle, hängte einen Topf darüber und murmelte etwas von Suppe und sich stärken. Dann kramte sie zwei Tonkrüge hervor, um kurze Zeit später beide, mit Dünnbier gefüllt, auf den Holztisch zu stellen. Aus dem winzigen Fenster blickend, sah Cirk eine Kuh, die ihn mit ihren großen Augen neugierig anstarrte.
Seufzend legte er sein Bündel auf die Schlafbank und setzte sich an den Tisch. Wieder ein Versteck! Wenn diesmal auch nur für eine kurze Weile. Wie lange mochte Napoleon das Land noch knechten? Cirks Hass auf den Franzosen war in diesem Augenblick so groß, dass er ihn mit eigenen Händen hätte erwürgen können. Tjalda hatte von geheimen Abreden gesprochen, von Plänen eines Zusammenschlusses mehrerer Verbündeter zum Kampf gegen Napoleon. Doch bislang spieltesich der Widerstand nur im Verborgenen ab. Und er wollte Anteil an ihm haben.
Cirk stützte den Kopf in beide Hände. Manchmal war da die Frage in ihm, wofür er eigentlich kämpfte. Für die Menschen? Für die Heimat? War Ostfriesland denn seine Heimat? Das Meer war sein Zuhause! Glücklich war er nur dort. Auf See schien alles so einfach zu sein. Da waren die salzige Luft, mit der er seine Lungen füllte, und das Rauschen der Wellen, das seine Ohren betäubte. Manchmal glaubte Cirk, Gottes Atem im Herzen zu fühlen und seine Gedanken zu erahnen. Wenn er dem Meer so sehr verbunden war, konnte es an Land überhaupt so etwas wie ein Zuhause für ihn geben?
„Eigentlich weiß ich nicht, wohin ich gehöre“, dachte Cirk und sehnte sich plötzlich verzweifelt danach, wieder Schiffsplanken unter seinen Füßen zu spüren.
Dunkelheit und Licht
Die Nacht schien ihren schwärzesten Punkt erreicht zu haben. Der Mond war gekommen und wieder gegangen, und in seinem Licht hatten Cirks Augen Wolkenfetzen ausmachen können, die zwischen den Sternen hingen. Die Feuer in den Moorkaten waren
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