Die Friesenrose
hinter ihm traten drei weitere Männer ein. Die feine Kleidung der Obererbpächter verriet Geschmack und Geld. Weste, Rock und Hosen waren aus demselben Tuch. Weiße Hemden mit steifen hohen Kragen blitzten darunter hervor. Auch Onkel Eggo trug seinen Sonntagszwirn. Zudem hatte er sich den Bart gestutztund tänzelte nun aufdringlich um die Männer herum und biederte sich an.
„Meine Herren, welch eine Freude, Sie wieder einmal begrüßen zu dürfen. Bevor wir zum Fußvolk eilen, lassen Sie uns einen Schluck nehmen. Die Torfstecher werden eh nichts als Tee anbieten können. Inken“ – er drehte sich zu ihr um –, „hol uns den besten Tropfen.“ Mit einer Handbewegung scheuchte er sie aus dem Zimmer.
Nachdem die Männer versorgt waren, beschloss Inken, noch einmal einen Blick auf Tante Tine zu werfen. Kein Laut war aus dem Wandbett zu hören.
„Wie schön“, dachte Inken erleichtert, „endlich schläft sie wieder einmal ruhig.“ Leise öffnete sie die Holztüren und lugte hinein. Ein friedlicher Ausdruck lag auf dem Gesicht der älteren Frau. Inken berührte vorsichtig ihre Hand, um sie unter die Bettdecke zu schieben. Wie kalt ihre Finger waren – eiskalt! Sanft strich sie ihrer Tante über die Wange. Ebenfalls eiskalt! Inken zuckte erschrocken zurück. Doch dann trat sie zögernd wieder näher heran, um ihre schreckliche Vermutung zu überprüfen. Verzweifelt lauschte sie nach Atemzügen, konnte aber keine vernehmen. Das war doch nicht möglich! Das durfte nicht wahr sein. Entsetzt ließ Inken sich auf den nächstbesten Stuhl sinken und verharrte dort wie gelähmt. Tante Tine war tot, das wusste sie mit plötzlicher Gewissheit. Verzweiflung schlich sich in ihr Herz. Niemals wieder würde sie die sanfte, gütige Stimme hören, niemals wieder die liebevollen Berührungen ihrer Tante spüren. Das war mehr, als Inken ertragen konnte. Aber sie riss sich zusammen. „Für Tante Tine ist es besser so“, ging es ihr durch den Sinn. An sich selbst wollte sie jetzt nicht denken. Sie musste Onkel Eggo holen, egal, was für ein Schuft er war. Und danach ... Inken wandtesich entschlossen um. Darüber, was danach war, würde sie später nachdenken.
Die Obererbpächter sprangen auf, als Inken mit bebender Stimme und einem Gefühl, als sei gar nicht sie diejenige, die zu den Männern sprach, von Tante Tines Tod berichtete. Ihrem Onkel dagegen schienen ihre Worte kaum ins Bewusstsein zu dringen. Er hatte dem Branntwein wohl wieder einmal mehr zugesprochen, als ihm guttat. Seine Augen blickten glasig.
„Was sagst du? Tine ist tot?“ Wankend kam er auf sie zu. „Nun ja, sie hat uns auch lange genug mit der Husterei genervt.“ Er hob seinen Becher. „Ein Hoch auf den Herrn Gevatter, der weiß, wann es Zeit ist zu gehen. Dann hab ich jetzt das Wandbett künftig für mich alleine. Oder“ – anzüglich musterte er Inken, und ihm schien eine Idee zu kommen –, „oder es gibt Ersatz für die Alte.“ Gierig glitten seine Augen über Inkens Körper, als sähe er sie zum ersten Mal. „Ich wusste gar nicht, was für eine Perle sich unter all den Lumpen versteckt. Meine Herren, wie steht es nun mit der Schankerlaubnis und dem Geneverbrennen? Geben Sie mir die Genehmigung, und es wird Ihr Schaden nicht sein.“ Er zeigte auf Inken. „Die da kann künftig hier die Gaststube führen und wird Sie in jederlei Hinsicht verwöhnen.“ Er zwinkerte den Männern zu, trat einen Schritt vor und zog Inken mit einer einzigen Bewegung das Kleid von der Schulter.
Inken schrie auf und rückte den Stoff wieder zurecht. Das Gefühl ohnmächtiger Trauer wich, und unbändige Wut stieg in ihr hoch. „Tante Tine ist tot, du versoffener Mistkerl, geht das nicht in deinen Kopf?“
„Ist doch gut so!“ Er beugte sich zu Inken vor und kniff ihr in die Brust. Sie fuhr mit einem Schmerzeslaut zurück undstarrte ihn fassungslos an. Was war das nur für ein Mensch? Wie hatte sie nur glauben können, Onkel Eggo würde anders reagieren? Auch die Obererbpächter waren unangenehm berührt von seinem Verhalten, und einer der Männer erbot sich, Inken zu helfen. Er stand auf und folgte ihr. Nach einem Blick auf Tante Tine übernahm er es, den Pfarrer zu holen. „Ich werde auch die nächsten Nachbarn schicken – wie es üblich ist.“
Inken nickte nur. Am liebsten hätte sie sich irgendwo verkrochen und alles um sich herum vergessen. Trauer hüllte sie ein, und die einsetzende Betriebsamkeit drang kaum zu ihr durch. Jebbedine war eine der ersten
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