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Die Friesenrose

Die Friesenrose

Titel: Die Friesenrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Oltmanns
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Knie in den Unterleib zu rammen. Für einen Moment sank ihr Onkel mit schmerzverzerrtem Gesicht in sich zusammen. Dann sprang er jedoch auf und versetzte Inken eine schallende Ohrfeige. Inkens Wange rötete sich und schwoll augenblicklich an, aber kein Schmerzenslaut kam über ihre Lippen. Ihr Onkel tobte vor Wut.
    „Du kleine hinterhältige Hure. Ich werde dich Wildkatze schon noch zähmen!“
    Blut rann aus Inkens Mundwinkel, aber sie bemerkte es nicht einmal. „Wie kann ein Mensch nur so niederträchtig sein?“
    „Du wirst noch erleben, wie niederträchtig ich wirklich sein kann!“
    In den Augen ihres Onkels loderte es auf. Mit einem Ruck zog er die Pferdepeitsche aus der Wandhalterung. Inken schauderte. Sie wusste sofort, was er vorhatte, und hob schützend ihre Arme vors Gesicht.
    „Diesmal werde ich nicht eher ruhen, als bis du die Knie vor mir beugst und mir Gehorsam gelobst!“
    Er hob die Peitsche und holte weit aus, um mit voller Kraft einen ersten Hieb zu platzieren. Inken versuchte ihm auszuweichen. Obwohl die Peitsche nur ihren rechten Oberarm traf, zog sie vor Schmerzen dennoch geräuschvoll die Luft ein, worauf sich ein zufriedener Ausdruck auf dem Gesicht ihres Onkels zeigte.
    „Wenn ich mit dir fertig bin, wird es mit der Widerspenstigkeit vorbei sein.“ Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, gierig tasteten seine Augen ihren Körper ab. „Ich glaube, es lohnt die Mühe!“
    Wieder holte er aus, doch in diesem Augenblick stürzte sich Inken, der die Angst ungeahnte Kräfte verlieh, auf ihren Onkel. Der schien zu glauben, dass sie ihm die Peitsche entreißen wollte, doch Inken zog mit einer einzigen Bewegung die Pistole aus seinem Gurt. Die Waffe war sein ganzer Stolz. Wiederholt hatte er Tante Tine und sie damit bedroht, und nun lag sie schwer in Inkens Hand.
    Von einer Sekunde zur anderen hatte sich der Spieß gedreht. Nun war es ihr Onkel, der vor ihr zurückwich, als siesich mit der auf ihn gerichteten Waffe langsam in Richtung Tür bewegte.
    „Gib mir sofort den Revolver wieder. Du hast sowieso nicht genug Mumm, um mich zu erschießen“, trumpfte er auf. „Mach schon, gib die Waffe her!“ Er stürzte sich auf sie und wollte die Pistole an sich reißen. Verzweifelt setzte sich Inken gegen seine Attacke zur Wehr, als sich im Handgemenge plötzlich ein Schuss löste und Inken ihren Onkel mit einem erstaunten Ausdruck auf dem Gesicht zu Boden sinken sah. Die Pistole glitt ihr aus der Hand, und sie begann zu schreien. So lange, bis kein Laut mehr aus ihrer Kehle drang. In der nun folgenden Stille vernahm sie schließlich ein Rufen.
    „Inken, wo bist du? Inken, mach die Tür auf!“
    Mit zitternden Händen schob sie den Riegel beiseite und fiel Jebbedine in die Arme. Diese überschaute mit einem Blick die Lage.
    „Dieser Widerling. Wir versuchen schon seit einer Weile in den Stall zu kommen und haben alles mitangehört.“
    Inken griff nach Jebbedines Arm. „Ich wollte ihn nicht erschießen“, sagte sie flehentlich. „Es ... es ist einfach so passiert!“
    „Ja.“ Die alte Frau wiegte den Kopf. „Manchmal greift das Schicksal eben ein. Und diesmal war es schon richtig. Inken, dich trifft keine Schuld, und es ist wahrlich nicht schade um diesen Schuft. Was meint ihr“ – sie wandte sich an die anderen Moorkolonisten – „wollen wir ihn verschwinden lassen?“
    „Ja.“ Derbe Stimmen wurden laut. „Er hat kein anständiges Begräbnis verdient. Lasst ihn uns den Moorgeistern zum Geschenk machen!“
    „Recht so“, ließ ein anderer verlauten. „Wir werden sagen, er sei nach Tines Tod einfach verschwunden.“
    Entschlossen trat Jebbedine auf den leblosen Körper desMannes zu. „Helft mir. Wir laden ihn in die Schubkarre und lassen ihn noch heute Nacht verschwinden. Grete“ – sie wandte sich an eine der jüngeren Frauen –, „kannst du Inken mit zu dir nach Hause nehmen?“
    „Ja, sicher.“ Die Angesprochene nickte. „Ich werde uns eine gute Tasse Tee ansetzen, und morgen werden wir Tine die letzte Ehre erweisen.“ Sie wandte sich an Inken. „Du hast ihr Freude geschenkt, und dafür ist das Moor dir wahrlich etwas schuldig.“
    Am nächsten Tag war der Himmel klar und blau und schien sich bis ans Ende der Welt zu erstrecken. Die rotgoldene Sonne brachte das Wasser des Kanals, der sich durch saftige Wiesen mit üppigen Wildblumen wand, zum Glitzern. Ein Fischreiher stand am Ufersaum, und Möwen kreischten hoch über Inkens Kopf.
    Während der Torfkahn eine breite

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