Die Friesenrose
Boden und das frei stehende Holzbett. Nur flüchtig nahm Inken den großen dunklen Schrank an der einen Wandseite und einen Tisch mit zwei Stühlen wahr. Ihre Augen waren auf den schlafenden Mann gerichtet. Die Stille im Raum wurde nur vom Geräusch seines Atems unterbrochen. Cirk hatte nicht einmal die Vorhänge zugezogen, sondern sich einfach so, wie er war, auf das Bett fallen lassen. Mit angehaltenem Atem kam Inken zögernd, fast widerstrebend näher. Selbst im Schlaf noch hatte er die Macht, ihr Herz schneller schlagen zu lassen. Die Decke war von seinem Körper gerutscht, und zum ersten Mal konnte Inken ihn betrachten, ohne dass seine Augen sie verwirrten. Ein herber Duft ging von ihm aus, und sein dunkles Haar lag ausgebreitet auf den hellen Kissen. Er schlief auf dem Rücken, seine linke Hand hing über dem Bettrand.
Langsam ließ Inken ihren Blick über seine Gestalt zu seinem Gesicht gleiten und verweilte dort. Der Schlaf hatte jegliche Härte und alle Spuren von Anspannung aus ihm getilgt und ließ es gelöst, fast jungenhaft aussehen, und Inken ertapptesich bei dem Wunsch, seine Konturen mit den Fingern nachzuzeichnen. In Gedanken fuhren ihre Hände durch sein Haar. Kopfschüttelnd trat sie einen Schritt zurück, doch seine Gestalt schien sie magisch anzuziehen. Das offene Hemd gewährte ihr den Blick auf seinen nackten Oberkörper, und Hitze stieg in ihr auf. Sie wollte die Hand auf seine Haut legen und trat schließlich, als folge sie einem inneren Zwang, wieder näher. Inken setzte sich auf den Bettrand und umfasste mit zitternder Hand vorsichtig seinen Unterarm. Ihre Fingerspitzen fuhren sanft über seine Haut. Sie schloss die Augen und genoss die Empfindungen, die die Berührung in ihr auslöste. Als Cirk sich stöhnend bewegte, ließ Inken ihn rasch los, aber es war bereits zu spät.
Cirk war aufgewacht und fuhr sich nun mit der rechten Hand etwas verwirrt über die Stirn. Dann setzte er sich auf und bemerkte Inken. Schlaftrunken streckte er die Arme nach ihr aus, als ob dies etwas ganz Selbstverständliches wäre. Und als Inken sich nicht rührte, umfassten seine Hände ihre Schultern. Etwas Fragendes lag in seinen noch vom Schlaf benebelten Augen, diese Augen, denen sie sich nicht entziehen konnte. Warum nur hatte er die Macht, mittels eines einzigen Blicks ihr Herz gefangen zu nehmen?
„Ich liebe dich“, sagte sie leise, „und bin gekommen, um es dir zu sagen.“
Cirk sprach kein Wort. Inken schlug die Augen nieder. Nun gut, er wusste es! Sie sollte gehen, sie sollte jetzt sofort gehen. Doch als Inken den Blick wieder hob, war da die Sehnsucht in Cirks Augen. Sie sahen sich unverwandt an, ohne eine Bewegung, ohne ein Wort. Inken wurde schwindelig, und ihre Hände gehorchten nicht mehr ihrem Willen. Wie von selbst griffen sie nach den seinen, und der Funke, der dabei übersprang, ließ sie zusammenzucken.
„Ich wollte dich nicht aufwecken.“ Ihre Stimme zitterte, und ihre Worte waren kaum mehr als ein Flüstern.
„Es ist Zeit, dass du aufwachst, Inken! Kämpfe nicht mehr gegen deine Gefühle.“ Der heisere Ton seiner Stimme und die leidenschaftliche Intensität, die in seinen Augen lag, ermutigten sie. Mit zitternden Händen strich Inken scheu über seine Unterarme, um sich dann, zögernd noch und doch zielstrebig, in Cirks dunklem Haar zu vergraben. Kaum merkbar kam er ihr entgegen, und mit einem Mut, der neu für sie war, hauchte Inken einen flüchtigen Kuss auf seine Lippen. Es war kaum mehr als eine leichte Berührung, doch sie genügte, um das Feuer in ihnen zu entfachen. Ein erstickter Laut kam über Cirks Lippen. Mit verzweifelter Heftigkeit zog er Inken an sich, und sie drängte ihm entgegen. Niemals zuvor hatte sie sich so sehr nach einem Menschen gesehnt, nach seiner Wärme, nach seiner Nähe. Sie wollte ihn schmecken, riechen und sein ganzes Wesen tief in sich aufnehmen. Und zum ersten Mal in ihrem Leben erkannte Inken, was es bedeutete, wenn sich zwei Menschen ineinander verlieren wollen. Zitternd legte sie ihre Hände auf seinen Oberkörper. Wieder küsste er sie. Es war ein fragender, ein sehnsüchtiger Kuss, der auf Antwort wartete.
Und Inken antwortete ihm. Es gab kein Fragen und Überlegen mehr für sie. Kein Innehalten, um über die Folgen ihres Tuns nachzudenken. Denn morgen würde Cirk vielleicht schon fort sein. Es gab nur das Heute für sie beide, nur diese eine Nacht. Ihre Blicke versanken ineinander, tiefer und immer tiefer. Suchend, tastend, wünschend, bis
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