Die Friesenrose
besetzt, doch das hatte die Betriebsamkeit der Menschen zuvor kaum beeinträchtigt. Sie schienen deren Herrschaft einfach zu verdrängen. Trotz einschneidender Veränderungen und vieler Verbote bemühte sich jeder redlich darum, ein halbwegs normales Alltagslebenzu führen. Die Blockade aber trieb Angst in viele Herzen.
Der Mann dieser Chinesin war weitsichtig und ein Freund raschen Handelns. So packte er sein Bündel, nahm diese Frau bei der Hand und verließ mit anderen Landsmännern seine Heimat, um unter preußischer Flagge zu leben. Auch viele Schiffer taten diesen Schritt. Sie fuhren lieber unter preußischer Fahne, als zu verhungern, und kauften, was uns zum Vorteil gereichte, auch weiterhin gerne bei ihren Landsleuten ein. Die Entscheidung, Amsterdam zu verlassen, ist richtig gewesen. Bald litten die Holländer mehr und mehr unter den Franzosen, und sie konnten keinen Schritt mehr tun, der nicht kontrolliert wurde. Jede Übertretung der französischen Gesetze wurde schwer geahndet.“
Tjalda ließ ein kurzes, freudloses Lachen hören. „Napoleons Bruder Louis hat zu seinen besten Zeiten ja sogar die alte Stadtwaage Amsterdams abreißen lassen, um freie Sicht vom königlichen Palast auf den Hafen zu haben. Ich könnte mir vorstellen, dass einer seiner Leute Stunde um Stunde am Fenster stehen und die Bewegungen auf dem Wasser kontrollieren musste. Da habt ihr wahrlich den richtigen Zeitpunkt gewählt, um zu fliehen. Ich sehe noch wie heute vor mir, wie damals mehr und immer mehr Fremde in die Stadt kamen. Bonné, was sagst du? Konnte man nicht manchmal sogar den Eindruck gewinnen, die Bevölkerung Emdens bestünde nur mehr aus Holländern?“
„Richtig.“ Bonné nickte zustimmend. „Diese bunte Menschenmischung war wahrlich ein Gewinn, und Emden erlebte einen unglaublichen Aufschwung.“
Tjalda zwinkerte den Freunden zu. „Ich will auch nicht verhehlen, dass es mir recht gut ging in dieser Zeit – finanziell gesehen, meine ich. Kruiderrien und auch andere damalsin Ostfriesland noch recht unbekannte Handelsgeschäfte schossen wie Pilze aus dem Boden. Die Niederländer schlossen Lücken, deren sich die Emder bis dahin nicht bewusst gewesen waren. Ich habe viele der holländischen Geschäftsleute finanziell unterstützt, während andere Geldverleiher diesen Schritt nicht wagten. Das Wagnis hat sich gelohnt. Ich kann mich an etliche Geschäftsinhaber recht gut erinnern, deinen Mann, Sumi, habe ich allerdings nicht kennen gelernt. Und ich glaube, wir sind uns auch nie begegnet, oder?“
Sumi schüttelte den Kopf. „Diese vorsichtige Frau trat lieber nicht so oft ins Licht der Öffentlichkeit, um ihrem Mann nicht zu schaden.“
„Heißt das etwa, du hast dich hier in Emden ständig im Haus aufgehalten?“ Tjalda runzelte die Stirn, und Sumi hob in einer beschwichtigenden Geste die Hände.
„Nein, nicht immer. Doch am Anfang erschien es dieser nicht sehr wissenden Frau einfach klüger, sich unsichtbar zu machen. Der geliebte Mann dieser ängstlichen Person respektierte ihre Entscheidung. Manchmal, in heißen Nächten, ging sie stundenlang an seiner Seite am Wasser spazieren. Es waren herrliche Abende! Das Mondlicht schien die Grenzen zu verwischen, und dann war es dieser Frau, als könne sie chinesische Fischer mit ihren Kormoranen angeln sehen.“
„Angeln im Dunkeln?“, fragte Tjalda überrascht.
Sumis Lächeln trug einen Hauch von Wehmut in sich. Sie nickte. „Die Chinesen locken die Fische mit Lampen an die Wasseroberfläche, wo darauf abgerichtete Kormorane sie vom Boot aus fangen. Die Vögel tragen Ringe um den Hals, damit sie die Fische nicht schlucken können, bevor die Fischer sie ihnen abnehmen.“ Sumi seufzte leise. „An solchen Abenden griffen Traurigkeit und Sehnsucht nach dieser Frau, doch es war auch ein Trost und Balsam für ihre Seele, dass ihrdie Fantasie China ganz nahe kommen ließ. Es war gut zu träumen in diesen schweren Zeiten. Die Wirklichkeit traf die Menschen hart genug.“
Inken nickte zustimmend. „Es muss in der Tat für alle sehr schwer gewesen sein. Ich denke gerade an die holländischen Walfänger. Mein Vater hat mir von ihnen erzählt.“ Sie tat einen tiefen Atemzug. „Sie durften natürlich nicht mehr auslaufen. Ihre Fangschiffe samt der zum Teil geflohenen Besatzung wurden von Ostfriesen übernommen. Damals, ich glaube es war 1797, liefen insgesamt 29 holländische Schiffe unter preußischer Flagge aus. Mein Vater schloss sich ihnen mit seinem
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