Die Friesenrose
genau abgestimmte Mengen und vermischte schließlich die Sorten von Hand.
Vor wenigen Wochen erst hatten sie den Laden eröffnet, und bereits jetzt, im Herbst, war er nicht mehr aus Inkens Leben wegzudenken.
„Er ist mein Leben, seitdem Cirk gegangen ist“, dachte Inken, und ein Hauch von Bitterkeit stieg in ihr auf. Noch immer musste sie an ihn denken, auch wenn sie Gespräche über ihn nicht mehr an sich herankommen ließ, so wie sie auch die politischen Veränderungen nur noch am Rande zur Kenntnis nahm. Ostfriesland war längst nicht mehr das „Département Ost-Ems“, sondern hatte seinen alten Namen zurückerhalten und war wieder eine Provinz des Königreiches Preußen. Die siebenjährige Fremdherrschaft wurde für beendet erklärt, und überall feierten die Menschen ihre Befreiung.
Wer als Soldat für Napoleon gekämpft hatte, kehrte zurück. Die Ostfriesen stellten Listen mit den Namen ihrer als Gefangene verschleppten Angehörigen auf und sandten sie mit der Bitte um Freilassung nach Frankreich. Auch Inken hatte den Namen ihres Vaters auf die Liste gesetzt.
Der Franzosen in der Festung Delfzijl aber schien niemand Herr werden zu können. Gerüchten zufolge hatte die Belagerung durch die so genannte Landwehr, bestehend aus etwa tausend ostfriesischen Männern, nicht den gewünschten Erfolg erzielt. Selbst deren Unterstützung durch die Engländer hatte die Franzosen nicht dazu gebracht, sich zu ergeben.Von einem verletzten Kämpfer war berichtet worden, dass es fast täglich zu kleineren Schießereien käme, es den Ostfriesen aber letztlich an Waffen und vor allen Dingen an Kanonen fehle und die Franzosen wohl noch monatelang in der Festung ausharren könnten.
Und so wanderten Inkens Gedanken in schwachen Momenten immer wieder zu Cirk. Da waren die Erinnerungen an die gemeinsam verbrachten Tage auf Norderney. Wie hatte er es nur geschafft, sich so gekonnt zu verstellen, so überzeugend zu lügen? „Ich wünsche mir nichts mehr, als an deiner Seite in Frieden zu leben“, hörte Inken ihn sagen und fühlte wieder den tiefen Schmerz in ihrem Inneren.
Und abends, wenn der Schlaf nicht kommen wollte, wälzte sie sich stöhnend hin und her, hasste sich am nächsten Tag dafür und arbeitete bis zum Umfallen, um die Sehnsucht aus ihrem Herzen zu vertreiben. Wie lange würde es noch dauern, bis die Wunde zu heilen begann?
Tjaldas Geschichte
Als die letzte Kundin mit einem Gruß das Geschäft verließ, schlenderte Inken zur Tür. Mit einem erleichterten Seufzer warf sie den Schlüssel in die Luft und fing ihn wieder auf. „Ich schließe ab!“
„Das ist gut.“ Sumis Stimme klang zufrieden. „Während diese müde Frau mit dem Abwasch beginnt, überlässt sie der Freundin mit dem klügeren Kopf das Abrechnen.“
Tjaldas missbilligendes Schnauben drang zu Inken herüber. „Ich möchte mal wissen, wer hier den klügeren Kopf hat!“
Lächelnd steckte Inken den Schlüssel ins Schloss. Dawaren sie alle drei so völlig verschieden und doch eine so verschworene Gemeinschaft.
„Was würde ich nur tun ohne Tjalda und Sumi“, ging es ihr durch den Kopf. „Wahrscheinlich verzweifeln!“ Aber heute würde sie sich den Abend nicht mit Grübeln verderben. Vielleicht gelänge es ihr stattdessen ja, Tjalda oder Sumi dazu zu überreden, noch ein wenig zu bleiben. Mit den beiden Frauen an ihrer Seite war ihr leichter ums Herz.
Gemurmel und Gelächter schallte ihr entgegen, als sie die Tür zum Nebenraum öffnete. Inken griff nach einem Handtuch, und schnell war auch die letzte Tasse abgetrocknet.
„So“, meinte Tjalda erleichtert und klappte das Buch zu. „Es war wieder eine sehr erfolgreiche Woche. Sumi, hast du eigentlich schon mal gezählt, wie viele Tassen Tee so an einem Tag getrunken werden?“
Sumi schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein, dazu hat diese Frau bislang keine Zeit gefunden. Ihr genügt es zu sehen, dass sich die Kannen immer wieder leeren.“
„Ich denke, wir sollten uns jetzt selbst eine gute Tasse Tee gönnen. Was meint ihr dazu, Mädchen?“ Tjalda blickte sie auffordernd an, und kurze Zeit später saßen sie gemütlich in der kleinen Teestube, die sonst den Gästen vorbehalten war, und genossen Sumis Aufguss.
Inken lehnte sich entspannt zurück. „Ich bin so froh, dass mich mein Weg hierher nach Emden geführt hat und dass ich euch habe.“
Sie schloss für einen Moment die Augen und genoss die Wärme und Süße des Tees. Noch vor Kurzem hatte sie geglaubt, dass es das Schicksal
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