Die Frucht des Bösen
kaltes Wasser ins Gesicht spritzte und auf klare Gedanken zu kommen versuchte. Greg war Greg. Greg war immer schon Greg gewesen.
Ich hatte mir jedoch bislang nie träumen lassen, wie gut er aussah, unter seiner Kleidung.
Als ich ungefähr eine Minute später das Badezimmer verließ, stand Greg im Flur. Er trug jetzt eine kurze Turnhose und ein weißes Polohemd.
«Karen hat angerufen», erklärte er. «Ich muss sofort los. Wenn du willst, kannst du hierbleiben. Meine Mitbewohner kommen wahrscheinlich erst am Abend zurück.»
«Wie spät ist es jetzt?»
«Vier Uhr am Nachmittag.»
Ich krauste die Stirn, verwundert darüber, dass ich am Ende wohl doch lange geschlafen hatte.
«Was gibt’s?», fragte ich.
«Ein neuer Patient, ein Junge», antwortete er und griff nach seinem Matchbeutel. Ich folgte ihm ins Schlafzimmer.
«Warum du?»
«Er ist gewalttätig. Karen fühlt sich wohler, wenn ich zur Stelle bin.»
«Was hat er getan?»
«Seine Mutter mit einem Messer verletzt.»
«Wann?»
«Heute Morgen, wenn ich richtig verstanden habe.»
«Wie geht’s der Mutter?»
«Keine Ahnung.»
«Wie alt ist der Junge?»
«Acht. Laut Auskunft des Notarztes befindet er sich zurzeit in einem katatonen Zustand. Wahrscheinlich steht er unter Schock.»
«Und sobald der abklingt …» Dann würde der Junge in Panik geraten und explodieren.
«Sieht so aus, als hätte ich eine schwere Nacht vor mir.» Er zog sich eine Trainingshose über die Shorts und warf den Matchbeutel über die Schulter. Er war ausgehfertig.
Ich musterte ihn. Er musterte mich. Sein Kinn hatte eine leichte Blaufärbung. Ohne lange nachzudenken, trat ich auf ihn zu und fuhr mit den Fingerkuppen über die Prellung. Dann stellte ich mich auf die Zehenspitzen und drückte ihm einen leichten Kuss aufs Kinn.
«Entschuldige», sagte ich.
«Danielle …» Seine Stimme war belegt.
«Was?»
«Es geht nicht immer nur um dich. Denk daran, okay?»
«Okay.»
Ich gab ihm noch einen Kuss, sog den Duft der frischgewaschenen Haut in mir auf und trat zurück. Er ging zur Arbeit.
Ich hatte mich um andere Dinge zu kümmern.
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27 . Kapitel
D. D. bekam ihre Sonderkommission. Die psychiatrische Station als Schnittstelle der Fälle Harrington und Laraquette-Solis sowie der Tod eines Kindes auf ebendieser Station hatten den Department-Leiter überzeugt. D. D. hatte bewiesen, dass ihr Verdacht nicht bloß paranoid war, sondern ganz klar begründet. Und dass die Medien vor dem Hintergrund zweier Amokläufe in nur zwei Tagen komplett am Rad drehten, tat ein Übriges. Die Presse hatte zwar noch keine Verbindung zwischen den beiden Familientragödien hergestellt, berichtete aber so ausführlich, dass der Department-Leiter der Ermittlung höchste Priorität einräumte und D. D. weitere zehn Detectives zur Verfügung stellte.
Und tatsächlich sollte sie endlich mal wieder in den Armen eines gutaussehenden Mannes aufwachen.
Allerdings meldete sich wieder zur Unzeit ihr verfluchter Pager, was zur Folge hatte, dass die beiden nicht richtig zur Sache kamen und mit einem halben Dutzend Donuts mit Zuckerguss als Ersatzbefriedigung vorliebnehmen mussten. Trotzdem war es für sie der schönste Morgen seit Jahren.
Sie lächelte immer noch, als Alex sie zum Krankenhaus fuhr, und auf dem Weg durch die Eingangshalle zu den Fahrstühlen pfiff sie sogar munter vor sich hin. Gemeinsam verließen sie den Fahrstuhl vor den Panzerglastüren der Kinderpsychiatrie, wo sie Andrew Lightfoot im Gespräch mit einem Wachposten antrafen.
«Was machen Sie denn hier?», wollte D. D. wissen.
«Ich arbeite», antwortete er. «Spüren Sie’s nicht auch?» Er zeigte ihr seinen Unterarm, auf dem sich Gänsehaut gebildet hatte. «Negative Schwingungen», murmelte er, als sie die Station betraten. «Sie sollten Ihren inneren Engel zu Hilfe rufen, Sergeant. Glauben Sie mir, gegen das, was hier abläuft, kommen Sie mit Ihrer inneren Zicke nicht an.»
D. D. und ihr Team richteten in dem Klassenzimmer, das sie schon kannten, ihren Außenposten ein. Sie hatten Durchsuchungsbeschlüsse und würden sie auch zur Anwendung bringen. In spätestens vierundzwanzig Stunden wollte D. D. sämtliche Mitarbeiter der Station vernommen haben. Phil war im Präsidium zurückgeblieben, um Erkundigungen zum Umfeld jedes einzelnen Mitarbeiters einholen zu können, während Neil eine Liste der Namen all jener Krankenhausangestellten zusammenstellte – Ärzte, Therapeuten, Pfleger,
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