Die Frucht des Bösen
sie sich daranmachte, einen der Tische abzuwischen. «Der kleine Ozzie ist also zu neuen Gefilden aufgebrochen, aber mein Vater will nach fünfundzwanzig Jahren immer noch mit mir reden. Habe ich das richtig verstanden?»
Lightfoot zuckte mit den Achseln. «Die Seele Ihres Vaters hat noch unerledigte Aufgaben zu bewältigen. Sie muss bestimmte Erfahrungen nachholen.»
«Und Lucy?»
«Ich habe vergangene Nacht von ihr geträumt», antwortete Lightfoot. «In meiner Vorstellung tanzte sie zwischen Mondstrahlen. Mir war auf Anhieb klar, dass sie etwas ganz Besonderes ist, ein unendlich lichtes und liebevolles Wesen. Sie hat mir gesagt, dass sie Sie liebt, und mich gebeten, Ihnen zu helfen. Sie macht sich Sorgen um Sie und spürt die Traurigkeit in Ihrem Herzen.»
«Hat sie Ihnen auch verraten, wer sie getötet hat? Oder ist das in Ihren höheren Welten ein zu profanes Thema?»
D. D. sah Lightfoot erwartungsvoll an. Auch das eine gute Frage.
«Der Tod ist nur ein Übergang», fuhr er fort, und D. D. sah, wie Danielle, die auf der anderen Seite des Tisches stand, die Augen verdrehte. Die Frau gefiel ihr zunehmend.
Lightfoot ließ sich nicht beirren. «Sie sollten verzeihen, Danielle. Sie sollten Ihr Herz der Liebe öffnen und von der Vergangenheit ablassen. Wenn Ihnen das nicht gelingt, werden die dunklen Kräfte Überhand gewinnen.»
«Und wann kommt der Werbeblock? Ich brauche dringend eine Pause von Ihrem Geschwafel.»
«Mir ist es ernst», entgegnete Lightfoot spröde.
«Mir auch.»
«Er hat eine unglaubliche Macht, Danielle.»
«Wer?»
«Nennen Sie mir den Namen.»
Die beiden starrten einander an. Betont langsam stellte Danielle ihre Spraydose ab.
«Wenn Sie helfen möchten, Andrew, gehen Sie zu einem unserer Kinder. Ich brauche Ihre Hilfe nicht.»
«Es steht schlimm um uns.»
«Dann versuchen Sie’s doch mit Woo-woo. Haben Sie nicht selbst gesagt, das Leben besteht aus frei gewählten Entscheidungen? Ich entscheide mich gegen Sie.»
Lightfoot presste die Lippen aufeinander. Seine dunklen Augen blitzten. Er drehte sich um und steuerte auf den Flur zu. Als er Lucys Zimmer erreichte, warf er einen letzten Blick über die Schulter zurück auf Danielle. Dann verschwand er hinter der Tür.
D. D. ließ Luft ab, selbst erstaunt darüber, dass sie den Atem angehalten hatte.
«Mir scheint, Sie halten nichts von Woo-woo», sagte sie.
«So ist es.» Die Schwester griff nach einem Lappen. «Dumm nur, dass Andrew in einer Hinsicht nicht falschliegt.» Sie machte sich daran, die Blutspritzer von der Wand zu wischen. «Hier geht’s tatsächlich nicht mit rechten Dingen zu.»
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31 . Kapitel
Danielle
«Sind Sie meinetwegen zurückgekommen?», fragte die Sergeantin ein paar Minuten später. Wir hatten inzwischen alle Blutspuren von den Wänden beseitigt und schoben Tische für die anstehende Mitarbeiterbesprechung zu einem Rechteck zusammen. Der andere Detective, dieser George-Clooney-Typ, war noch damit beschäftigt, die Flecken aus dem Teppich zu schrubben, befand sich aber in Hörweite. D. D. fuhr fort: «Schön. Ich möchte mich nämlich mit Ihnen unterhalten.»
«Wir haben gleich eine Sitzung», entgegnete ich steif. «Karen meint, ich könne daran teilnehmen.»
«Wird auch zur Sprache kommen, dass vor ziemlich genau fünfundzwanzig Jahren Ihr Vater Ihre Familie ausgelöscht hat?»
Aus durchschaubaren Gründen versuchte die Sergeantin, mich zu provozieren, worauf ich aber nicht ansprang. Ich entdeckte noch ein paar Blutspritzer am Fenster weiter hinten, griff nach dem Glasreiniger und machte mich wieder an die Arbeit.
Während der vergangenen fünfundzwanzig Jahre hatte ich mich ziemlich wacker geschlagen, wie ich fand. Ich hatte das College geschafft, einen Job gefunden, der mir Spaß machte, und mich an dreihundertsechzig Tagen im Jahr immer wieder bewähren können. Es gelang mir, die Ereignisse jener Nacht unter Verschluss zu halten und dem Bedürfnis zu widerstehen, alte Familienfotos hervorzukramen. Ich verdrängte die Erinnerung an die Whiskyfahne meines Vaters oder daran, eine Neun-Millimeter-Pistole in der Hand gehalten zu haben.
Ich arbeitete mit meinen Kindern und legte Wert darauf, nicht zurückzublicken.
Nur diese eine verflixte Woche im Jahr kam mir immer wieder dazwischen.
Dann kochten alle Erinnerungen, die ich so sorgfältig weggepackt hatte, wieder hoch, angereichert mit neuen Informationen. Hatte Mom meinen Vater tatsächlich verlassen wollen? Hatte
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